Vorbereitung
Online-Begleitung für Freiwillige an Europas (Außen-)Grenzen
2. Rassismus, Eurozentrismus, White Saviour-
Komplex, Voluntourismus
Als Freiwillige*r in der Unterstützungsarbeit mit Menschen auf der Flucht ist es unserer Meinung nach sehr wichtig, sich mit bestimmten Aspekten von Rassismus und den Konzepten des Eurozentrismus, Voluntourismus und des sogenannten “White Saviour-Komplex” kritisch auseinanderzusetzen. Lass dich von den komplizierten Begriffen nicht abschrecken, falls du sie nicht kennst. Klicke auf die jeweiligen Konzepte für eine kurze Definition und eine Erklärung, warum sie in diesem Kontext eine wichtige Rolle spielen.
Rassismus
In Kürze: Was bedeutet Rassismus?
- Rassismus ist ein globales soziales Phänomen, das nicht losgelöst von seiner historischen Verbindung mit dem Kolonialismus, Versklavung, ökonomischer Ausbeutung und der Entstehung des Kapitalismus betrachtet werden kann, die bis heute unsere Gesellschaft maßgeblich prägen.
- Es fällt nicht immer einfach, Rassismus in all seinen Facetten und Erscheinungsformen sofort zu erkennen:
- Rassismus kann sich sehr deutlich und offensichtlich äußern, beispielsweise bei Menschen, die sich mit menschenfeindlichen Parolen klar zu einer rassistischen Gesinnung bekennen. Hier werden Menschen aufgrund ihres Geburtsortes, ihres äußeren Erscheinungsbilds, ihrer Religion oder Sprache als weniger menschlich betrachtet und abgewertet. Dazu gehört es auch, dass Schutzsuchenden der Zugang zu Sicherheit verwehrt wird.
- Rassismus kann sich aber auch in alltäglichen und sprachlichen Formen auf individueller Ebene, sowie auf institutioneller und rechtlicher Ebene äußern. Diese Formen von Rassismus sind häufig subtiler und vielschichtiger, weshalb es oft viel schwerer fällt, sie direkt als Rassismus zu erkennen und benennen. Diese Formen von Rassismus tragen wir alle mit uns. Deswegen ist es immer notwendig, sich verantwortungsvoll mit Rassismus auseinanderzusetzen, auch wenn man sich selbst als antirassistisch versteht.
Begriffserklärungen
Globaler Norden & Globaler Süden:
Die politische Einteilung in Globaler Norden und Globaler Süden verweist auf die unterschiedliche Erfahrung mit Kolonialismus und Ausbeutung - einmal als Profitierende und einmal als vornehmlich Ausgebeutete. Mit dem Begriff Globaler Süden wird eine heute im globalen System benachteiligte gesellschaftliche, politische und ökonomische Position als Konsequenz von Imperialismus beschrieben. Globaler Norden hingegen bestimmt eine mit Vorteilen bedachte und ökonomisch mächtige Position.
Während durch Begriffe wie „Entwicklungsländer“ eine bestimmte Illusion von Entwicklungsstadien zum Ausdruck kommt, die manche Länder bereits durchschritten hätten und andere noch müssten, wird mit dem Begriffspaar Globaler Süden bzw. Norden versucht, grundsätzlich unterschiedliche politische, ökonomische und kulturelle Positionen zu benennen.
Die Einteilung in Süd und Nord ist dabei nur bedingt geographisch gedacht. Australien gehört beispielsweise genau wie Deutschland mehrheitlich dem Globalen Norden an, weil der Großteil der Bevölkerung eine privilegierte ökonomische Position genießt. Es gibt aber in beiden Ländern auch Menschen, die Teil des Globalen Südens sind, zum Beispiel Aboriginal Australians oder illegalisierte Personen in Deutschland. Andersherum gibt es auch in Ländern, die mehrheitlich dem Globalen Süden angehören, Menschen, die die bevorteilte Position des Globalen Nordens genießen - sei es, weil sie weiß sind oder weil sie aufgrund ökonomischer Ressourcen zur global privilegierten Klasse gehören.
Schwarz & weiß:
Wir benutzen hier die Bezeichnungen Schwarz und weiß als Begriffe, die politische und soziale Konstruktionen darstellen: Sie beschreiben nicht die Hautfarben von Menschen, sondern ihre Position in einer Gesellschaft. Dabei geht es um eine ungleiche Machtverteilung, in dem weiß Interessen gegenüber Schwarz strukturell durchsetzen kann. Schwarz ist eine Selbstbezeichnung von Rassismus betroffener Menschen, die als Gegenentwurf zu rassistisch geprägten Begriffen dient (die hier nicht extra genannt werden müssen). Als politische Begriff werden sie deshalb großgeschrieben. Weiß wird kursiv geschrieben, um die dominante Machtposition zu kennzeichnen, die sonst meist unsichtbar bleibt. Denn wenn nur ein Teil der Menschen „extra“ beschrieben wird und eine zusätzliche Kategorie bekommt, dann gilt der andere Teil implizit als „normal“.
Person/People of Colour (PoC):
Die Bezeichnung Person oder People of Colour (PoC) bezieht sich auf alle rassifizierten Menschen, die in unterschiedlichen Anteilen über afrikanische, asiatische, lateinamerikanische, arabische, jüdische, indigene oder pazifische Herkünfte oder Hintergründe verfügen. Es handelt sich hier ebenfalls um eine Selbstbezeichnung von Menschen, die von Rassismus betroffen sind und wurde als politischer Begriff in den 1960ern entwickelt. Die Bezeichnung verbindet diejenigen, die durch eine weiße Dominanz abgewertet werden und handelt somit entgegen der kolonialen Strategie der Vereinzelung („Teile und herrsche“). Die ebenfalls häufig verwendete Bezeichnung BIPoC stammt aus dem US-amerikanischen Kontext und steht für "Black, Indigenious and People of Color".
Konsequenzen von Rassismus
- Wenn Menschengruppen anhand von Geburtsort, Nationalität, Glaube oder Aussehen in “Wir” und “die Anderen” eingeteilt werden, und das "Wir" eindeutig positiv und das "Andere" als negativ wahrgenommen wird, dann ist das Rassismus.
Schau dir hierzu gern einmal dieses kurze Video an. - Wenn bestimmte Menschen einfach ein Visum erhalten, um durch die Welt zu reisen, und andere Menschen die Gefahr einer gefährlichen Flucht über das Mittelmeer eingehen müssen, um in Sicherheit leben zu können, dann ist das Rassismus.
Schau dir hierzu gern einmal den Henley-Passport-Index an, der zeigt, wie viele Länder man visumsfrei mit welchem Reisepass bereisen kann. - Wenn Menschen ein bestimmter Wert zugesprochen wird, je nachdem, für wie produktionsfähig sie gehalten werden und Migrations- und Asylrecht fast ausschließlich auf dieser Grundlage aufbaut, dann ist das Rassismus.
Unser Buchtipp hierzu : Achille Mbembe - Kritik der schwarzen Vernunft) - Diese tiefer liegende Form des Rassismus nennt man auch strukturellen Rassismus.
Daraus folgt:
- Wir alle haben rassistische Verhaltens- und Denkmuster in uns, da wir in einer rassistisch geprägten Welt aufgewachsen sind und sozialisiert wurden.
- Wir alle leben in Strukturen, die bestimmte Menschen privilegieren und andere diskriminieren.
- Diese Strukturen haben sich im Zuge von Kolonialisierungen und der systematischen Unterdrückung und Ausbeutung großer Bevölkerungsgruppen historisch entwickelt und setzen sich bis heute fort.
- Gerade weil es sich dabei um etwas Strukturelles handelt, ist Rassismus weniger an einzelne Individuen gebunden, sondern setzt sich in Vorstellungen, in Weltanschauungen, in medialen Darstellungen, in der Arbeit von Institutionen, im internationalen Recht um. Kleine, vielleicht sogar harmlos erscheinende Fragen oder Kommentare zum Aussehen oder der Herkunft von Menschen können aufgrund der strukturellen Verwurzelung rassistisch sein.
Man muss kein*e Rassist*in sein, um rassistisch zu denken, um Rassismus zu reproduzieren oder um von Rassismus zu profitieren. Weiße Menschen des Globalen Nordens profitieren von diesen Privilegien, ob sie dies aktiv wollen oder nicht. Gehörst du zu dieser privilegierten Gruppe, kannst du zunächst wenig daran ändern. Du solltest dir deiner Position jedoch stets bewusst sein und kritisch und reflektiert damit umgehen. Für eine solche kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Position und deren Bedeutung in Bezug auf die Arbeit in der humanitären Hilfe sollen dir die folgenden Themen und Erklärungen helfen.
Was bedeutet das für dich und deine Arbeit mit Menschen auf der Flucht?
- Versuche nicht, deine eigenen Rassismen zu verleugnen: Da die Rassismen unserer Gesellschaft derart strukturell und tiefgreifend sind, kann sich niemand vor ihnen verschließen, sie prägen und beeinflussen unsere Sozialisation, unser Denken und unser Handeln. Umso wichtiger ist es also, die eigenen von Rassismus geprägten Denkweisen, Vorstellungen und Bilder zu erkennen, sich dieser bewusst zu werden, um ihnen dann aktiv entgegenzuwirken.
- Lerne die Perspektive von Betroffenen kennen: Weiße Personen können Diskriminierungserfahrungen von PoC (häufig) nicht sehen, da sie selbst nicht davon betroffen sind. Das bedeutet aber nicht, dass du Betroffene nach ihren Diskriminierungserfahrungen ausquetschen solltest. Es gibt viele Artikel, Videos, Podcasts und Bücher, in denen Betroffene ihre Erfahrungen teilen. Eine kleine Auswahl haben wir weiter unten für dich bereitgestellt.
- Werde dir deiner Verantwortung bewusst: Weiße Personen haben das Privileg, sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen zu müssen, da sie nicht davon betroffen sind, das heißt aber, dass Weiße eine (historisch gewachsene) Verantwortung besitzen, sich aktiv und selbstkritisch mit den eigenen Rassismen auseinanderzusetzen und gegen sie anzukämpfen. Das bedeutet auch, dich gegen rassistische Institutionen und Gesetze einzusetzen.
- Setze sich mit deinen eigenen Stereotypen, Vorurteilen und deiner eigenen eurozentrischer Perspektive auseinander: Versuche, deine eigenen Vorstellungen von Menschen und Menschengruppen zu überdenken und Vorurteile zu enttarnen und abzulegen. Hinterfrage kritisch, welche Vorstellung du davon hast, wie sich Menschen und Gesellschaften “zu entwickeln haben” und inwiefern diese Vorstellung von deiner eigenen Herkunft geprägt ist.
Weitere Lese-/Videotipps:
- Erklärungsvideo zu Alltagsrassismus: How micro aggressions are like mosquito bites
- Ein Ted Talk von Chimananda Ngozi Adichie The danger of a single story
- Buch Alice Hasters (2019): “Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten”
- Buch Tupoka Ogette (2018): “Exit Racism”.
Eurozentrismus
Was bedeutet Eurozentrismus?
- Eurozentrismus wird eine Einstellung bezeichnet, welche europäische Lebensweisen, Normen und Werte bzw. die, die als “westlich” verstanden werden, unhinterfragt in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt und sie als Standard begreift.
- Dabei geht es nicht nur um das Phänomen, dass Menschen sich zunächst an dem orientieren, was sie gewohnt sind und aufgrund ihres eigenen Lebens und kultureller Sozialisaion kennen - denn das tun wir alle. Vielmehr geht es bei Eurozentrismus um eine aktive Abgrenzung zu “den Anderen”, die auf einer Abwertung dieser und einer damit einhergehenden Erhöhung des “Eigenen” beruht. Beim Eurozentrismus (der als Teil des Ethnozentrismus gilt) geht es also nicht um den Versuch andere Kulturen oder Lebensweisen besser zu verstehen, sondern bestehende Hierarchien und Ungleichheiten aufrecht zu halten, bzw. zu rechtfertigen.
- Dass diese europäischen bzw. “westlichen” Normen, Werte und Lebensweisen weltweit Gültigkeit beanspruchen, liegt zu großen Teilen in der Kolonialgeschichte und deren bis heute andauernden Folgen verborgen.
Konsequenzen von Eurozentrismus
- Die Kolonialgeschichte brachte ein starkes Ungleichgewicht von globalen Reichtums- und somit auch Machtverhältnisses zugunsten des Globalen Nordens hervor, welche bis heute bestehen und durch anhaltende Ausbeutungsmechanismen und globalen Kapitalismus verstärkt wird.
- Diese ungleiche globale Machtverteilung hat auch zur Folge, dass die Definitionsmacht darüber, was der kulturelle/soziale oder materielle Standard, die Normalität und das Erstrebenswerte ist, stärker vom Globalen Norden eingenommen werden kann und auch wird.
- Ausgehend von der Annahme, dass die kulturellen und politischen Systeme Europas das ideale Modell universeller Vernunft und menschlicher Entwicklung darstellen, wird Europa oder “der Westen” mit dem Konzept liberaler Demokratien aufbauend auf christlichen Werten als Maßstab gesellschaftlicher und politischer Praxis betrachtet.
- Diese Überlegenheitsvermutung geht häufig mit der Annahme einher, “die Anderen” wären in ihren gesellschaftlichen oder kulturellen Entwicklungen in einem rückständigen Stadium.
- Die Denkweise, dass nicht-europäische oder nicht-westliche Gesellschaften in einem Stadium verharren, welches “der Westen” bereits überwunden habe, führt auch zu der überheblichen Haltung, “der Westen” müsse ihnen bei einer Art fortschrittlichen Entwicklung helfen.
Daraus folgt:
- Es handelt sich bei diesen Einteilungen in “fortschrittlich” und “rückständig” nicht um gegebene Wahrheiten, sondern um europäische Konstruktionen und Fantasien, die dazu beitragen, den Globalen Norden und Europäer*innen bzw. weiße Menschen in einer Vormachtstellung zu halten.
- Indem wir beispielsweise die ungleichen ökonomischen und politischen Verhältnisse zwischen Globalem Norden und Süden damit erklären, dass “die Anderen” eben noch nicht so modern, fortschrittlich, entwickelt seien, machen wir es uns leicht: Wir machen die Menschen des Globalen Südens für die Verhältnisse verantwortlich und verleugnen die eigene Verantwortung.
- Mit solchen Erzählungen wird erreicht, dass die gewalttätige koloniale Vergangenheit und die daraus entstandenen gegenwärtigen politischen und ökonomischen Verhältnisse nicht thematisiert werden müssen.
- Gleichzeitig können wir die Vorteile, die wir tagtäglich daraus ziehen, als unsere eigene Leistung wahrnehmen und so tun, als ob sie uns quasi selbstverständlich zustehen – obwohl wir nichts dafür getan haben. So wird Ungleichheit zu einer natürlichen Gegebenheit gemacht, wodurch ihr Weiterbestehen nicht in Frage gestellt werden muss. Damit wird deutlich, dass das Nichtbenennen von Geschichte und eigener Bevorteilung in der Gesellschaft eine aktive, interessengeleitete Handlung ist und nicht einfach nur unschuldige Unwissenheit oder Vergessen.
Lesetipps zum Thema Eurozentrismus in Bezug auf die Arbeit von internationalen Organisationen:
- Bundeszentrale für politische Bildung: Eurozentrismus in der Entwicklungszusammenarbeit
- Auch dieses Dokument von glokal e.V. können wir sehr empfehlen: Mit Kolonialen Grüßen
Was bedeutet das für dich und deine Arbeit mit Menschen auf der Flucht?
- Reflektiere deine Sicht auf und deine Bewertung der Handlungen anderer Menschen:: Während deiner Tätigkeit wirst du dich immer wieder in Momenten wiederfinden, in denen Menschen andere Entscheidungen treffen, anders handeln oder reagieren, als du es getan hättest. Vielleicht fällt es dir schwer, diese Entscheidungen nachvollziehen oder verstehen zu können. Das Wichtige ist in diesen Momenten, dass du andere Herangehensweisen, Entscheidungen oder Handlungen respektierst und deine Meinung und Perspektive nicht automatisch über ihre stellst - natürlich nur, solange du und alle Beteiligten sich damit wohlfühlen und nicht verletzt werden.
- Reflektiere deine eigene eurozentristische Haltung: Versuche, zu erkennen, wo und in welcher Form du eurozentristischen Denkweisen folgst. Folgende Fragen können dir dabei helfen:
- Wie könnten die schutzsuchenden Menschen, mit denen ich arbeite, meine Teammitglieder, aber auch die lokale Bevölkerung vor Ort, bestimmte Situationen wahrnehmen und beurteilen in Anbetracht ihrer Sozialisation und kulturellen Herkunft?
- Was setze ich vielleicht voraus? Welche Normen muss ich hinterfragen?
- Gibt es im eigenen Weltbild ethische Prinzipien, die dem Akzeptieren von Wertvorstellungen und Praktiken anderer Kulturen Grenzen setzen?
- Beachte folgende Grundsätze : Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit sind die Grundpfleiler der humanitären Hilfe. Begegne also allen Menschen respektvoll und achte stets darauf, dass keine Einzelpersonen oder Gruppen bevorteilt oder vernachlässigt werden. .
- Äußere dich nicht belehrend: Die Menschen, mit denen du zusammenarbeiten wirst, bringen verschiedene Lebensweisen, Erfahrungen und meist auch traumatische Fluchtgeschichten mit. Womöglich wirst du einige ihrer Entscheidungen nicht verstehen können, da du vielleicht ihre Erfahrungen, Gewohnheiten oder Vorlieben nicht nachvollziehen kannst. Achte darauf, dass du deine Ansichten und Entscheidungen nicht über ihre stellst und niemals belehrend auf sie einwirkst.
White-Saviour-Komplex
Was bedeutet White-Saviour-Komplex?
- White-Savior-Komplex (Weiße-Retter*innen-Komplex) beschreibt die Vorstellung oder Überzeugung, dass es das Einschreiten weißer Menschen aus dem Globalen Nordens bedarf, um andere (nicht-weiße Menschen(gruppen) aus ihrer Unterdrückung oder auch einfach nur aus einer scheinbar mangelhaften Lebenssituation zu “retten”.
- White-Savior-Komplex bezeichnet somit das Phänomen, dass Menschen glauben (bewusst oder unterbewusst), ihre Herkunft, ihre Erziehung und (Aus-)Bildung in einem Land des Globalen Nordens, verleihe ihnen das Recht, das Wissen und die Legitimation, um andere Menschen „aufzuklären“. Dabei spielt Eurozentrismus eine große Rolle, denn die Maßstäbe von dem, was es wie zu retten gilt, werden an europäischen Standards orientiert.
- Lies mehr dazu in unserem Blogeintrag über den White-Saviour-Komplex
Konsequenzen des White-Saviour-Komplexes
Besonders deutlich wird dieses Phänomen in den zahlreichen zwar hochmotivierten, aber unausgebildeten Abiturient*innen, die nach dem Schulabschluss in die Welt bzw. den Globalen Süden ziehen, um in sogenannten Hilfsprojekten “etwas Gutes zu tun” oder um “zu helfen”.
Daraus folgt:
- Die Tatsache, dass junge Menschen, die meist nicht die notwendigen Qualifikationen besitzen, dennoch in Projekten der sogenannten „Entwicklungszusammenarbeit“ eingesetzt werden, macht deutlich, welche Überheblichkeit des Globalen Nordens mit diesem Format einhergeht.
- So werden nicht nur historisch alt eingesessene Hierarchisierungen und von Rassismus geprägte Bilder der passiven und hilfsbedürftigen „Anderen“ reproduziert, sondern komplexe politische und soziale Themen auch stark verkürzt dargestellt.
- Das Phänomen des White-Saviour-Komplexes ist aber nicht nur in der Arbeit von Organisationen des Globalen Nordens, die im Globalen Süden tätig sind, zu finden, sondern auch in der Selbstdarstellung von Menschen in den Sozialen Medien oder auch in zahlreichen Hollywood-Filmen, in denen es weißer Held*innen bedarf, um andere Menschen aus ihrer diskriminierten Position zu befreien.
Was bedeutet das für dich und deine Arbeit mit Menschen auf der Flucht?
- Sei dir deiner Position und Rolle bewusst: Als Freiwillige mit Menschen auf der Flucht, besonders in der humanitären Hilfe ,findest du dich in einer Situation wieder, die sich aus nur schwer erträglichen Machtdynamiken und Abhängigkeitsverhältnissen zusammensetzt. Sei dir deiner eigenen Position bewusst, nutze sie nicht aus und versuche, einen guten Umgang mit dieser Rolle zu schaffen. (Schau dir hierzu gern auch noch einmal unsere Einheit 5 ein wenig an!)
- Versuche deine eigene Motivation ehrlich zu ergründen : Versuche zu verstehen, weshalb du diese Arbeit machen willst. Was motiviert dich? Vielleicht hast du den Wunsch danach, “etwas Gutes zu tun”, vielleicht sogar das Bedürfnis nach Dankbarkeit und Anerkennung. Sei dir dieser Aspekte bewusst und versuche, sie kritisch zu reflektieren. Sprich mit deinen Teammitgliedern und anderen Freiwilligen darüber. Es ist in Ordnung, solche Gedanken und Wünsche zu haben, sie sollten jedoch nicht den Hauptteil deiner Motivation ausmachen. Du solltest allen Menschen immer auf Augenhöhe begegnen.
- Achte auf die Außenwirkung deiner Arbeit: Sei dir stets darüber im Klaren, welche Wirkung deine Berichte oder Posts auf Sozialen Medien haben können. (Schau zu diesem Thema auch noch einmal in unsere Einheit 6 rein!)
Weitere Lese- / Video-/ Hörtipps zum Thema:
- Artikel Arte (2019): White Saviourism: Wenn Hilfe nicht hilfreich ist
- Podcast: No White Saviors
- Satirisches Video: Africa For Norway
- Satirisches Video: White Savior: The Movie Trailer
Voluntourismus
Was bedeutet Voluntourismus?
- Ein besonderes Phänomen von internationaler Freiwilligenarbeit ist der sogenannte Voluntourismus, also eine Verbindung von “Volunteering” (engl.: Freiwilligenarbeit) und “Tourismus”, bei der letzteres im Fokus steht. Bei den Anbietern solcher Formen von Freiwilligenarbeit handelt es sich meist um Agenturen, die Freiwilligenarbeit vor allem als Teil einer spannenden Reise und als Abenteuer anpreisen. Die Qualifikation und Eignung der Freiwilligen für die Mitarbeit im Projekt steht hier weniger im Fokus, als ihre finanziellen Möglichkeiten, die Reise zu finanzieren.
- Das Geld, welches Freiwillige für solche Aufenthalte bezahlen, fließt meist nur bedingt wirklich in das Projekt vor Ort.
- Auch sehr kurze Tätigkeiten von Freiwilligen, die in eine größere Reise eingebettet sind, können als Voluntourismus verstanden werden.
- Im Kontext mit Menschen auf der Flucht äußert sich Voluntourismus vor allem auch vermehrt im "Katastrophen-" bzw. "Krisentourismus". Freiwillige reisen in humanitäre Projekte und Camps, hauptsächlich um sich einen Eindruck von der Situation vor Ort zu verschaffen, Fotos zu machen, Menschen über ihre Flucht auszufragen und im Anschluss von ihren Erfahrungen berichten zu können. All dies hat ebenfalls touristische Elemente, die in keinem Fall im Vordergrund stehen sollten.
Konsequenzen von Voluntourismus
- Die Vorteile dieser Freiwilligenarbeit kommen dabei einzig und allein den Freiwilligen selbst zugute: Sie erleben ein internationales und interkulturelles “Abenteuer”, machen neue Bekannt- und Freundschaften, können die Erfahrungen meist in ihren Lebensläufen nutzen und schließen ihren Aufenthalt unabhängig von der Realität mit dem Gefühl ab, “etwas Gutes” getan zu haben - ungeachtet der realen Konsequenzen.
- Für die Menschen in den Gastländern jedoch ist diese Form der Freiwilligenarbeit meist eher schädlich als alles andere, da nicht die Unterstützung im Sinne des Projekts respektiert und verfolgt wird, sondern die Erfahrung und das Vergnügen der Freiwilligen priorisiert werden.
Daraus folgt:
- Durch derartige Formen von Freiwilligenarbeit werden erneut historisch verankerte Hierarchisierungen und von Rassismus geprägte Bilder der passiven und hilfsbedürftigen „Anderen“ (hier: Menschen auf der Flucht) reproduziert, die sich über jegliche Aufmerksamkeit von Freiwilligen freuen sollen / müssen (unabhängig von der Länge und Ausrichtung des Aufenthalts).
- Gleichzeitig mangelt es häufig an Fachwissen und Qualifikation der Freiwilligen, was nicht zwingend den Freiwilligen anzulasten ist, aber trotzdem auch problematisiert werden muss:
- Aufgrund der aktuellen Situation an Europas Außengrenzen und dem fehlenden politischen Willen, etwas an dieser Situation zu ändern oder auch nur professionelles und ausgebildetes Personal für diese humanitäre und politische Krise bereitzustellen, bedarf es weiterhin der Arbeit vieler Freiwilliger in diesem Bereich.
- Dies hat jedoch auch zur Folge, dass Menschen, die eigentlich nicht über die für diesen Bereich notwendige Qualifizierung verfügen, in den Projekten arbeiten und sie koordinieren.
- Trotz bzw. gerade wegen dieser Umstände ist es umso wichtiger, dass die Projekte selbst über eine gewisse Stabilität verfügen und in der aktuellen Situation auch langfristig funktionsfähig sind. Projekte, die nach kurzer Zeit im Sande verlaufen, erzeugen eine Erwartungshaltung oder schaffen Hoffnungen, die dann zerstört oder enttäuscht werden und richten so häufig einen höheren Schaden an, als dass sie langfristig zur Lösung beitragen.
Was bedeutet das für dich und deine Arbeit mit Menschen auf der Flucht?
- Schau genau hin bei der Auswahl deiner Organisation: Erfüllt die Organisation, für die du arbeiten möchtest ein gewisses Maß an Nachhaltigkeit und kritischer Selbstreflexion? Projekte, die zwar gut gemeint sind, sich aber nicht lange genug halten können oder Versprechungen machen, die sie nicht einhalten, können viel Schaden anrichten. Halte dich an den Leitsatz der humanitären Hilfe: Do no harm!
- Hinterfrage vor diesem Hintergrund selbstkritisch deine Motivation: Versuche in dich hineinzuhorchen: Findest du Aspekte des Voyeurismus in deiner Motivation? Mit anderen Worten: Spielt der Reiz, den solche Krisen und humanitäre Katastrophen manchmal auf uns ausüben, eine entscheidende Rolle in deiner Motivation? Gehe in dich und versuche, deine Gründe auf dieser Grundlage selbstkritisch zu hinterfragen. Die Unterstützungsarbeit mit Menschen auf der Flucht sollte niemals Katastrophentourismus sein, sondern eine Handlung aus Solidarität.
Fragen? Kritik? Anmerkungen? Ergänzungen?
Wir freuen uns sehr über Rückmeldungen und hilfreiche Hinweise von Euch! Schreibt uns einfach eine Email: kontakt@brueckenwind.orgDu möchtest unsere Inhalte teilen?

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