Vorbereitung

Online-Begleitung für Freiwillige an Europas (Außen-)Grenzen

 

3. Politische & soziale Situation von geflüchteten

Menschen an Europas (Außen-)Grenzen


Die soziale und politische Situation von Geflüchteten an Europas Außengrenzen ist ein komplexes Thema, bei dem historische, politische, soziale und rechtliche Gegebenheiten beachtet werden müssen. Rechtsprechungen und politische Praxen an den Grenzen ändern sich häufig. Daher werden wir hier einen kurzen Überblick der wichtigsten Entwicklungen und Regelungen geben. Bei weiterführendem Interesse und Fragen verweisen wir auf andere Organisation, die sich täglich und seit langer Zeit mit diesen Entwicklungen auseinandersetzen und somit diese viel besser darstellen können..
 
 
 
Was ist wichtig für dich und die Arbeit in deinem Projekt?

  • Informiere dich über die asylrechtlichen Regelungen vor Ort, um die Lebenssituation von den Menschen, mit denen du arbeitest, besser nachvollziehen zu können. Wie sehen die migrationspolitischen Regelungen in Theorie und Praxis aus? Was gibt es für aktuelle Entwicklungen vor Ort?
  • Sei dir auch über die Situation des Landes bewusst, in dem das Projekt verortet ist. Wie sieht die politische und soziale Lage des Landes (Griechenland, Italien, Serbien, etc.) aus, in dem du arbeiten möchtest?
 
 

Grundlagen Fluchtmigration

Fluchtbewegungen auf der Welt

Auf der ganzen Welt befinden sich Menschen auf der Flucht. Die Zahlen sind besonders in den letzten Jahren enorm in die Höhe gestiegen und sind so hoch wie nie zuvor in der fast 70-jährigen Geschichte des UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR). Nur ein sehr kleiner Teil der weltweit vertriebenen Menschen flieht nach Europa, die meisten Menschen werden in Nachbarstaaten aufgenommen.

Aktuelle Zahlen & Fakten:
  • Ende 2020 befanden sich 82,4 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Diese Zahl beinhaltet unter anderem 48 Millionen Binnenvertriebene (Menschen, die innerhalb ihres Landes auf der Flucht sind) und 26 Millionen Geflüchtete unter dem UNHCR und UNRWA Mandat.
  • 73% aller Vertriebenen weltweit werden in Nachbarländern ihrer Herkunftsstaaten aufgenommen. 68% der Geflüchteten kommen aus Syrien, Venezuela, Afghanistan, dem Südsudan oder Myanmar. Die Türkei, Kolumbien, Pakistan, Uganda und Deutschland sind die Staaten, die mit Abstand am meisten Menschen aufnehmen.
Quelle: UNHCR (2021): Global Trends 2021 .

Flucht und Migration nach und in Europa

  • Die politische Situation von Geflüchteten ist in den verschiedenen Staaten der EU durchaus unterschiedlich. Die Europäische Union hat im Rahmen eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) gemeinsame Standards für die Behandlung von Asylanträgen und den Umgang mit Schutzsuchenden festgelegt.
  • In der Realität unterscheiden sich die politischen Umstände (Parteien an der Regierung usw.), die Umsetzung und Dauer der jeweiligen Asylverfahren sowie die Lebensbedingungen von geflüchteten Menschen jedoch stark.

Folgen der europäischen Migrationspolitik
Die europäische Migrationspolitik setzt zunehmend auf eine Externalisierung (also Auslagerung) und Militarisierung des Grenzschutzes, wodurch die Rechte von Schutzsuchenden stark eingeschränkt und sie oft unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt werden:

  • Die menschenunwürdigen Zustände an Europas Außengrenzen mit bekannten Beispielen wie den Geflüchtetencamps Moria (heute Kara Tepe) auf Lesbos oder Lipa in Bosnien und Herzegowina sind keine temporären humanitären Notfälle oder Krisen. Im Gegenteil: Die aktuelle Situation ist politisch gewollt und eine direkte Folge der europäischen Politik.
  • Anstatt politische Mechanismen zu etablieren, die es schutzsuchenden Menschen auf legale und ungefährliche Art ermöglicht, in Europa Asyl zu beantragen, werden Schutzsuchende schon an den Grenzen verhaftet, geschlagen und zunehmend kriminalisiert. Wenn der Zugang zum Asyl gewährt wird, dauern Asylprozesse meist mehrere Monate bis Jahre und asylsuchende Menschen werden gezwungen über lange Zeit in Camps mit teilweise unmenschlichen Lebensbedingungen zu leben.
  • Hinzu kommen illegale und gewaltvolle Push-Backs (d.h. Zurückweisungen an der Grenze oder aus dem Inland, ohne die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen) und diskriminierende Praktiken. Push-Backs finden nicht nur an den europäischen Außengrenzen statt, sondern auch innerhalb Europas wie beispielsweise in den Grenzgebieten der Balkanregion, an der Grenze zwischen Italien und Frankreich oder in Calais.
  • Der Versuch Menschen an der Migration und Flucht nach Eruopa zu hindern findet nicht mehr nur an den Europäischen Grenzen statt, sondern wird von der EU in afrikanische oder osteuropäische Staaten ausgelagert. Um die Verantwortung des Schutzes flüchtender Menschen auf andere Staaten zu übertragen und Menschen an der Flucht nach Europa zu hindern kooperiert die EU mit Staaten wie der Türkei oder Niger und der paramilitärischen Miliz der sogenannten “libyschen Küstenwache”.
 
 

Rechtliche Grundlagen und Asyl in Europa

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem und die Dublin-III-Verordnung

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) besteht im Kern aus zwei Verordnungen und mehreren Richtlinien:

  • Die Dublin-III-Verordnung (siehe unten), regelt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.
  • Die EURODAC-Verordnung wurde zum europaweiten Fingerabdruckvergleich von Asylsuchenden erstellt.
  • Die Aufnahmerichtlinie regelt die gemeinsame Standards für die Lebensbedingungen von Asylsuchenden.
  • Die Qualifikationsrichtlinie regelt, wer als Flüchtling oder subsidiär Schutzbedürftige gilt.
  • Die Verfahrensrichtlinie regelt die Mindeststandards der Asylverfahren.
Sehr gut zusammengefasste Informationen zu der europäischen Asylpolitik findet ihr beim Mediendienst Integration (DE)
Was ist die Dublin-III-Verordnung?

  • Die sogenannte Dublin-III-Verordnung regelt die Zuständigkeit der EU-Staaten für die Durchführung von Asylverfahren. Kurzgefasst besagt diese Verordnung, dass derjenige EU-Staat für ein Asylgesuch zuständig ist, in dem die Geflüchteten als erstes EU-Boden betreten, beziehungsweise in dem als erstes die Fingerabdrücke der Geflüchteten aufgenommen wurden.
  • Nach EU-Recht kann der Asylantrag als unzulässig abgelehnt werden, wenn die schutzsuchende Person aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist. Begründet wird dies damit, dass die schutzsuchende Person im sicheren Drittstaat schon Schutz vor politischer Verfolgung hätte finden können. Zu den sicheren Drittstaaten zählen die Staaten der EU, Norwegen und die Schweiz.
  • Ausnahmen bilden lediglich Familienzusammenführungen:
    Familienzusammenführung (Family Reunification) ist eine Option für Schutzsuchende, die enge Familienangehörige in einem anderen europäischen Land haben. Darunter fallen Ehepartner*in oder minderjährige Kinder und bei unbegleiteten minderjährigen Personen Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten oder Großeltern.
Folgen:
  • Dieses Verfahren führt dazu, dass Länder an europäischen Außengrenzen wie Italien, Spanien und Griechenland einen Großteil der Geflüchteten in Europa aufnehmen, ohne dafür adäquat vorbereitet zu sein oder angemessene Unterstützung von anderen Staaten zu erhalten.
  • Die Verantwortung für die Unterstützung Schutzsuchender wird somit auf wenige Staaten übertragen, auch wenn eine menschenwürdige Versorgung der Schutzsuchenden nicht gewährleistet ist.
Für mehr Informationen zum Dublin-III-Verfahren schau dir die Informationen von Mobile Info Team: Dublin III (EN) an.
Das Asylverfahren

Trotz europaweiter Mindeststandards für die Durchführung von Asylverfahren unterscheiden sich die Verfahren in den europäischen Staaten.

Auf diesen Seiten findest du einen Überblick über die Asylverfahren in Griechenland, Italien und Deutschland:
EU-Türkei-Abkommen

Was ist das EU-Türkei-Abkommen?
  • Im März 2016 ist das sogenannte EU-Türkei-Abkommen in Kraft getreten. Hintergrund des Abkommens ist, dass im Jahr 2015 und 2016 sehr viele Menschen über die Grenzen der Türkei nach Griechenland in die EU eingereist sind. Dies wollte und will die EU unterbinden und Geflüchtete an der Einreise hindern. Grob zusammengefasst besagt das Abkommen, dass die Türkei den Grenzschutz verstärkt und so Geflüchtete an der Weiterreise in die EU hindern soll. Dafür hat die EU zwischen 2016 und 2018 bis zu 6 Millionen Euro zur Verbesserung der Lebensumstände von Geflüchteten in der Türkei zur Verfügung gestellt.
  • Geflüchtete ohne Anspruch auf Asyl in Griechenland, sollen von den griechischen Inseln direkt wieder in die Türkei abgeschoben werden. Bei einer ersten Prüfung der Zuständigkeit für das Asylgesuch, wird also ermittelt ob die Türkei der Person schon ausreichend Schutz bietet. Da die Türkei nach dem EU-Türkei-Abkommen als sicherer Drittstaat erklärt wurde, müssen die Asylbewerber*innen beweisen, dass die Türkei kein sicherer Ort für sie ist. Im Gegenzug hat sich die EU verpflichtet, für jede syrische Person, die von den griechischen Inseln in die Türkei abgeschoben wird, eine*n syrische*n Geflüchtete*n aus der Türkei direkt aufzunehmen.
  • Insgesamt wurden bis Ende März 2020 2.140 Menschen im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens zurück in die Türkei ausgewiesen. Seit März 2020 nimmt die Türkei keine abgelehnten Asylbewerber*innen aus Griechenland mehr auf.
Mehr Informationen dazu findet ihr bei den Monthly Updates vom UNHCR, z.B. Return from Greece to Turkey
(EN, Stand März 2020)

Entwicklungen im Frühjahr 2020:
  • Im Februar 2020 verkündete der türkische Ministerpräsident Erdogan, die türkische Grenze zu Griechenland für flüchtende Menschen zu öffnen. Als Grund wurden fehlende Hilfszahlungen von der EU genannt.
  • Griechenland reagierte, unterstützt von der EU, mit einer Militarisierung der Grenze und dem Aussetzen des Rechts auf Asyl für einen Monat.
  • Viele Menschen, die in diesem Zeitraum in Griechenland angekommen sind, wurden und werden ohne rechtsstaatlichen Schutz wieder in die Türkei ausgewiesen.
Mehr Informationen zu den Entwicklungen in Griechenland im Zeitraum Februar 2020- Juni 2020 in dieser Broschüre: Stop War On Migrants (EN & GR)
Auch zu empfehlen ist die Monitor Reportage Flüchtlinge in Griechenland: Europas Rechtsbruch an der Außengrenze
(DE )


Quellen:
Balkanbruecke (2020): Die Balkanroute (DE)
Schwarze, T. (2017): Für Merkel funktioniert der Deal. (DE)
Der EU-Migrationspakt 2020

Was ist EU-Migrationspakt?

Die Mitgliedsstaaten der EU haben sich im Herbst 2020 auf ein neues Migrations- und Asylpaket geeinigt, das die europäische Asylpolitik reformieren soll und nach eigenen Angaben “verbesserte und schnellere Verfahren im gesamten Asyl- und Migrationssystem” festlegen soll. Der noch diskutierte und von NGOs stark kritisierte Migrationspakt wird als “europäische Lösung” präsentiert und soll zur besseren Aufteilung von Verantwortlichkeiten beitragen. Die EU-Kommission möchte so den seit Jahren schwelenden Konflikt zwischen den Mitgliedstaaten beenden.

Doch was sind die größten Änderungen zu den jetzigen Verfahren?
  • Die EU spricht den einzelnen Staaten mehr Befugnisse in der Kontrolle von Einreisenden zu. Mitgliedstaaten dürfen nach dem Plan einreisende Menschen viel umfangreicher als bisher in einer Vorüberprüfung an der Grenze überprüfen, Fingerabdrücke werden genommen und Gesundheits- und SIcherheitschecks durchgeführt.
  • Über Anträge von Geflüchteten aus Ländern mit einer sehr niedrigen Anerkennungsrate soll innerhalb von höchstens 12 Wochen entschieden werden und eine schnelle Rückführung (Abschiebung) gewährleistet werden.
  • An der Unterbringung in Lagern wie etwa Moria ändert sich dadurch nichts und dies ist ebenfalls nicht vorgesehen.
  • Anerkannte Asylbewerber*innen sollen daraufhin über die EU verteilt werden, jedoch nicht anhand einer verpflichtenden Quote. Stattdessen soll es ein mehrstufiges Systems geben, welches vor allem aus finanziellen Anreizen für die Mitgliedsländer besteht: So werden etwa 10.000 Euro pro Geflüchteten aus dem EU-Budget bereitgestellt und 12.000 für minderjährige Geflüchtete.
  • Sollten Mitgliedsstaaten nicht mehr in der Lage sein sich entsprechend um Geflüchtete zu kümmern wird eine bestimmte Zahl von anderen Staaten übernommen.
  • Desweiteren will die EU schneller und effizienter Abschieben. Mit dem Konstrukt der “Abschiebe-Patenschaft” übernehmen Staaten, die Verantwortung für die Abschiebung abgelehnter Schutzsuchender aus anderen Ländern. Dies kann auch die Aufnahme in dem eigenen Staat bedeuten, nur um sie dann von dort weiter abzuschieben.
  • Am oben beschriebenen “Dublin-Verfahren” ändert sich wenig. Einzige Änderung ist, dass Geflüchtete, welche nahe Verwandte haben, die in einem EU-Land arbeiten, studieren oder gearbeitet haben dort ihren Asylantrag stellen können.

Was ist die Kritik?

Besonders von südeuropäischen Mitgliedsstaaten und NGOs wird der Asylpakt stark kritisiert.
  • Geflüchtete werden zunehmend entrechtet und das Recht auf eine faires Asylverfahren bleibt ihnen verwehrt. Das beschleunigte Grenzverfahren verhindert faire Asylverfahren an den Grenzen, da keine individuelle Fluchtgründe geprüft werden können. Sollte eine geflüchtete Person etwa aus einem sogenannten “sicheren” Herkunftsland kommen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Antrag innerhalb von 12 Wochen ohne wirkliche individuelle Prüfung abgelehnt und eine Abschiebung angeordnet wird sehr hoch.
  • Lange Registrierungsprozesse können zudem zu weiteren überfüllten Zentren führen. Während der Grenzverfahren gelten die Schutzsuchenden als nicht als in die EU eingereist, weshalb sie sich während der Grenzverfahren und ggf. Rückführungsverfahren in geschlossenen Zentren untergebracht werden. Über 6 Monate können sie unter Haftbedingungen und ohne Zugang zu Rechtsberatung festgehalten werden.
  • Der Fokus des europäischen Asylsystems scheint sich weiter von einer Aufnahme Schutzsuchender hin zu Abschiebungen zu verschieben.
  • Länder wie Griechenland, Italien, Spanien und Malta, in denen der Großteil der Geflüchteten als erstes europäischen Boden betritt werden nicht wirklich entlastet. Sie werden weiterhin allein gelassen während sich nördliche EU-Staaten der Verantwortung entziehen können.

Für mehr Informationen schau dir diese MONITOR-Reportage an EU-Migrationspakt: Unrecht als Gesetz
(DE )
Für mehr Informationen schau dir dies Video des Border Violence Monitoring Network an Who does the EU’s Migration Pact Really Benefit?
(EN )

Quellen:
Europäische Kommission (2020): Pressemitteilung (DE)
Flüchtlingsrat Baden-Württemberg (2020): Überblick zum neuen Asyl- und Migrationspaket der EU (DE)
Tagesschau (2020): Menschenverachtend oder gute Basis? (DE)
Tagesschau (2020): Was steht im EU-Migrationspakt? (DE)
Mediendienst Integration (2020): EU-Migrationspakt steht in Kritik (DE)
Frontex

  • Frontex ist die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache und ist seit 2004 im Einsatz um die europäischen Mitgliedsstaaten bei ihrem Grenzschutz zu unterstützen.
  • Die zunächst kleine Agentur mit Sitz in Polen, ist zu einer der größten Agenturen der EU geworden. Das Budget ist seit 2005 um 7.560% auf 5.6 Billionen für die Jahre 2021-2027 gestiegen . Frontex hat eigene Mitarbeiter*innen sowie von Mitgliedsstaaten gestellte Beamt*innen.
  • Die Agentur arbeitet an den europäischen Außengrenzen, beispielsweise in Griechenland, den westlichen Balkanstaaten, Spanien und Italien. Zudem ist sie eine der Hauptkoordinatoren von Abschiebungen aus der EU und kooperiert als Teil der europäischen Externalisierungspolitik (- Auslagerung der Verantwortung der Migrationskontrolle in Drittstaaten- ) mit mehr als 20 nichteuropäischen Staaten. Darunter fallen auch die Training der sogenannten libyschen Küstenwache, die immer wieder wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert wird.
  • Frontex nutzt ein Narrativ über Migration und Grenzschutz, in dem Migrant*innen häufig als Gefahr dargestellt werden , was rassistische und nationalistische Sichtweisen auf Migration unterstützt und reproduziert..
  • Frontex steht zunehmend in der Kritik. Immer wieder wird über eine direkte und indirekte Beteiligung an illegalen Push-Backs und Gewaltausübungen gegenüber Migrant*innen berichtet: So sollen Frontex-Beamt*innen Pushbacks in der Ägäis durch die griechische Küstenwache bezeugt haben und Frontex-Schiffe auch an Pushbacks in der Ägäis beteiligt gewesen sein. Nach Berichten der zivilen Seenotrettungsorganisation Sea-Watch ist die EU-Agentur auch im zentralen Mittelmeerraum an Rückführungen (Pullbacks) nach Libyen beteiligt: Das Luftaufklärungsflugzeug von Frontex verweigert die Zusammenarbeit mit NGOs und kooperiert überwiegend mit der sogenannten libyschen Küstenwache um Schutzsuchende zurück nach Libyen bringen zu lassen.
  • Zudem werden fehlende menschenrechtliche Kontrollmöglichkeiten der Agentur kritisiert. Menschen, die Rechtsverletzungen durch Frontex erleben müssen, können die Agentur nur sehr schwierig vor Gericht bringen. Außerdem zeigen die direkte und indirekte Beteiligung an Push-Backs, dass auch interne Kontrollmechanismen der Agentur nicht ausreichen um den Schutz der Menschenrechte zu garantieren.

Mehr zu der Kritik an Frontex hier:

Quellen:
Pro Asyl (2020): Beteiligung von Frontex und deutschen Einsatzkräften an Pushbacks muss Konsequenzen haben (DE)
Pro Asyl (2020): Frontex - eine Grenzschutzagentur der Superlative? (DE)
Abolish Frontex (2021):What is Frontex? (EN)
Sea-Watch (2021):Crimes of the European Border and Coast Guard Agency Frontex in the Central Mediterranean Sea (EN)
 
 

Regionale Besonderheiten: Der Mittelmeerraum und die Balkanregion

Regionale Besonderheiten: Der Mittelmeerraum & Die Balkanregion

Der Mittelmeerraum und die Balkanregion spielen aus geographischen und politischen Gründen (s. Dublin-III-Verfahren) eine besondere Rolle für Schutz- und Asylsuchende in Europa, da sich hier die meisten von ihnen (gezwungenermaßen) aufhalten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird auch dein Projekt in der Balkanregion oder im Mittelmeerraum sein. Daher haben wir dir hier ein paar Informationen über die Besonderheiten und die Situation vor Ort zusammengestellt.
Seenotrettung im Mittelmeerraum

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) ist das Mittelmeer derzeit die tödlichste Grenze der Welt. Laut Schätzungen der IOM kamen 2019 fast 1.900 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer ums Leben oder gelten als vermisst. Mehr als ⅔ von ihnen sind auf der zentralen Mittelmeer-Route (nach Italien und Malta) gestorben oder gelten als vermisst. Da sichere Fluchtwege fehlen, versuchen viele Menschen trotz dieser immensen Gefahr über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Eine europäische Lösung dieser humanitären Katastrophe ist nicht in Sicht, denn es gibt keine Rettungseinsätze durch die zuständigen europäischen Institutionen und auch keine legalen Fluchtwege nach Europa.

Quellen:
IOM (2017): New Study Concludes Europe’s Mediterranean Border Remains 'World’s Deadliest'. (EN)
Missing Migrants (2020): Tracking deaths along migratory routes. (EN)

Welche Organisationen sind in welcher Region für die Seenotrettung von Geflüchteten zuständig?
  • Im westlichen Mittelmeer (nach Spanien) ist vor allem die staatliche "Sociedad de Salvamento y Seguridad Marítima" aus Spanien für die Rettung von Geflüchteten zuständig.
  • Im östlichen Mittelmeer (über die Türkei nach Griechenland) arbeiten Einheiten der griechischen und türkischen Küstenwache und die europäische Frontex-Operation “Poseidon” zusammen in der Seenotrettung.
  • Im zentralen Mittelmeer (aus Subsahara Afrika nach Italien und Malta) werden Schutzsuchende derzeit häufig von der sogenannten libyschen Küstenwache aus Seenot gerettet. Dabei werden Schutzsuchende wieder nach Libyen gebracht, wo sie wegen “illegaler Zuwanderung” inhaftiert werden. Seit Jahren sind die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen gegen Schutzsuchende in Libyen bekannt. Die Kooperation der EU mit Libyen zwingt flüchtende Menschen, in einem Land zu bleiben, in dem ihre Menschenrechte offensichtlich verletzt werden. Vereinzelt rettet auch die tunesische Küstenwache Geflüchtete aus Seenot. Neben den Patrouillen der italienischen Küstenwache sind es aber vor allem private Rettungsorganisationen, wie Sea-Watch, Mission-Lifeline oder Sea-Eye, die in diesem Gebiet Schutzsuchende retten. Dabei haben sie mit immensen Repressionen von EU-Staaten zu kämpfen. Ihnen wird Schleppertum oder Menschenhandel vorgeworfen, weshalb sie immer wieder in Häfen festgesetzt werden. Nach Rettungen von Geflüchteten wird ihnen der Zugang zu Häfen häufig nicht gestattet.

Quelle:
Mediendienst Integration (2020): Europäische Asylpolitik und Grenzschutz.

Weitere Informationen und aktuelle Zahlen findest du zum Beispiel auf folgenden Seiten:
Das Hotspot-System und die Folgen für Schutzsuchende

2015 hat die EU sogenannte Hotspots an den südlichen Außengrenzen der EU eingerichtet. Ziel war es, an diesen Hotspots alle ankommenden Asylsuchenden zu registrieren. Dafür arbeiten die nationalen Grenzbehörden sowie Mitarbeiter*innen der Europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache (Frontex) und des Europäische Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) zusammen.

Hotspots in Griechenland und Italien

Auf den griechischen Inseln wurden fünf Hotspots errichtet (Chios, Lesbos, Samos, Leros und Kos). Geflüchtete, die in den Hotspots registriert werden, müssen zunächst einmal auf den Inseln bleiben. In dieser Zeit wird entschieden, ob sie im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens zurück in die Türkei abgeschoben werden oder einen Asylantrag in Griechenland stellen können.

In Italien wurden vier Hotspots errichtet (Lampedusa, Pozzallo, Taranto und Trapani). Hier werden die Geflüchteten nach der Registrierung in zwei Gruppen aufgeteilt:
Asylsuchende, die in einem Aufnahmezentrum (CARA) oder in einer Notunterkunft (CAS) untergebracht werden und einen Asylantrag stellen können.
Vermeintliche “Wirtschaftsflüchtlinge”, die in einem “Ausreisezentrum” (CIE) festgehalten und abgeschoben werden.


Kritik und Folgen für Schutzsuchende:
Seit der Einführung wird das Hotspot-System kritisiert. Besonders die Lebensbedingungen in den griechischen Hotspots sind menschenunwürdig.
  • Die Hotspots dienen nicht wie ursprünglich geplant als temporäre Registerungszentren mit anschließender Weiterreise auf das griechische Festland oder Umverteilung in andere EU-Mitgliedsstaaten. Stattdessen sind die Hotspots zu überfüllten Inhaftierungs-Zentren geworden.
  • Dies ist auch eine Folge des EU-Türkei-Abkommens, sowie der Tatsache, dass sich mehrere EU-Mitgliedstaaten weigern, geflüchtete Menschen aufzunehmen. Die meisten Menschen, die auf den griechischen Inseln ankommen, müssen mehrere Jahre in den Hotspots ausharren, bis ihr Asylantrag bearbeitet wird. Dies führt dazu, dass immer mehr Menschen auf den griechischen Inseln gefangen sind, die Camps chronisch überfüllt sind und die Lebensbedingungen sich weiter verschlimmern.
  • Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks leben mehr als 7.500 schutzsuchende Menschen (Stand Juli 2021) momentan in den Camps auf den griechischen Inseln. Die Gefahr eines COVID-19-Ausbruchs und die verhängten Ausgangssperren haben die Situation noch weiter verschärft.
Aktuelle Zahlen findest du bei den Dokumenten des UNHCR.
Mehr Informationen zu den Entwicklungen in Griechenland im Zeitraum Februar 2020 - Juni 2020 findest du in dieser Broschüre Stop War On Migrants (EN & GR)
Leseempfehlung (DE): “Der Moria Komplex - Verantwortungslosigkeit, Unzuständigkeit und Entrechtung fünf Jahre nach dem EU-Türkei-Abkommen und der Einführung des Hotspot-Systems” von Maximilian Pichl


Quelle: Mediendienst Integration (2020): Europäische Asylpolitik und Grenzschutz.
UNHCR (2021): Aegean Islands Weekly Snapshot 19.-25. July 2021.
Die Balkanregion

  • Jedes Jahr versuchen noch immer zehntausende Geflüchtete über eine der Landesgrenzen des Balkans, auf der Suche nach Schutz, nach Westeuropa zu gelangen. Auch nach der zunehmenden Schließung der europäischen Außengrenzen, insbesondere der offiziellen Schließung der sogenannten Balkanroute im März 2016, sind die Länder der Balkanregion noch immer Transitländer (d.h. Durchgangsländer) für viele Geflüchtete.
  • Im März 2020 wurden fast 20.000 schutzsuchende Menschen vom UNHCR in der Balkanregion registriert, 96% davon in Serbien und Bosnien und Herzegowina.
  • Neben diesen Haupt-Transitstaaten sind auch Kroatien, Montenegro, Nord Mazedonien, Kosovo, Albanien und Rumänien Transitländer der Balkanregion. Die Lebensbedingungen für schutzsuchende Menschen sind je nach Land und Camp unterschiedlich. Zudem befindet sich ein Teil der geflüchteten Menschen in der Region nicht in offiziellen Camps oder Unterkünften.
  • Seit den Grenzschließungen sind Grenzübertritte in der Balkanregion immer gefährlicher geworden. Vermehrt wird von gewaltvollen und illegalen Pushbacks (d.h. Menschen werden in der Nähe der Grenze oder aus dem Landesinneren zurückgeschickt, ohne einen Antrag auf Asyl stellen zu können), Misshandlungen und rassistischen Übergriffen in der Region berichtet.
  • Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl kritisieren seit langem, dass beispielsweise die kroatische Grenzpolizei Schutzsuchende systematisch an der Flucht in die EU hindere, ihnen das Recht auf Asyl verweigere und gewaltvoll nach Bosnien und Herzegowina zurückdränge. Viele flüchtende Menschen riskieren aufgrund von Perspektivlosigkeit auf diesen gefährlichen Routen ihr Leben.

Beispiel Serbien

  • In Serbien befinden sich laut UNHCR aktuell 6,179 Geflüchtete und Asylsuchende (Stand Juni 2020).
  • Schätzungsweise 400-500 Geflüchtete halten sich in Nordserbien außerhalb offizieller Unterkünfte auf (Stand Juli 2020). Dabei ist in der Realität von einer sehr viel höheren Zahl auszugehen, da sich besonders in den Sommermonaten viele Geflüchtete nahe der Grenzen außerhalb der Camps aufhalten. Diese Zahlen sind niedriger als in vielen anderen Ländern, was eine geringe Abdeckung durch Medien und ein geringeres Bewusstsein bedeutet.
  • Laut offizieller Angaben sind innerhalb Serbiens im Jahr 2019 20 Menschen bei dem Versuch die Grenze zu überqueren, umgekommen. Expert*innen schätzen die Dunkelziffer allerdings als sehr viel höher ein. Das liegt daran, dass Überlebende von gescheiterten Versuchen, eine der Grenzen zu überqueren, meist nicht zur Polizei gehen.
  • Jeden Tag werden alleine an den Grenzen zu Kroatien und Ungarn im Durchschnitt mehrere hundert Menschen völkerrechtswidrig nach Serbien zurückgeführt. Alleine im Juni 2020 waren laut dem UNHCR 579 Menschen von Push-Backs aus Ungarn und 1.147 Menschen von Push-Backs aus Rumänien betroffen.

Hier kannst du dich weiter informieren:



Quellen:
Stojić Mitrović, M.; Ahmetašević, N.; Beznec, B. und Kurnik, A. (2020): The Dark Sides of Europeanisation. Serbia, Bosnia and Herzegovina and the European Border Regime.
ProAsyl (2020): Türsteher Kroatien: Brutale Menschenrechtsverletzungen im Namen Europas.
UNHCR (2020): South Eastern Europe. Operational Portal. Refugee Situations.
 
 

Politische und soziale Situation

Soziale Situation von Geflüchteten und die Lebensbedingungen in den Camps

Durch die Bemühungen der EU, Migrationsbewegungen nach Europa zu reduzieren und Asylbescheide auf einem möglichst niedrigen Niveau zu halten, befindet sich ein Großteil der Geflüchteten in Europa in einer nicht nur sehr prekären, sondern auch äußerst hoffnungslosen Situation.

Von der lokalen Bevölkerung schlägt ihnen zunehmend Unmut oder gar rassistische Gewalt entgegen. Viele Geflüchtete befinden sich zudem oft in einer Warteschleife von behördlichen Termine, Anträgen und Bescheiden, die sich meist über mehrere Jahre hinzieht. Und in nicht wenigen Fällen erwartet sie am Ende dieses zehrenden Prozesses die Abschiebung. Da der Prozess des Asylantrags derart mühsam und langwierig ist, müssen die Asylsuchenden zum Teil mehrere Jahre in den ihnen zugewiesenen Camps verharren. Dabei variieren die Lebensbedingungen der Geflüchteten nicht nur von Land zu Land, sondern sogar von Camp zu Camp.

Folgende Aspekte können Einfluss auf die Lebensbedingungen in den Camps haben:
Unterbringung und Sanitäre Anlagen

Die Formen der Unterbringungen reichen von größeren Hallen, die lediglich durch Decken abgetrennt werden, über Zelte und Container bis hin zu Wohnblöcken und dezentraler Unterbringung. Bei den sanitären Anlagen sind Aspekte wie Anzahl, Ausstattung, und Instandhaltung entscheidende Faktoren, die nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Gesundheit der Bewohner*innen eines Camps beeinflussen können. Auch die Möglichkeit der Privatsphäre sowie die Lage der sanitären Anlagen entscheiden über die Vulnerabilität und das Sicherheitsgefühl - insbesondere von Mädchen und Frauen. Besonders die Lebenssituation in Camps macht das Einhalten von Schutzmaßnahmen wie Abstandsregelung oder physischer Isolation während der COVID-19-Pandemie unmöglich, weshalb schutzsuchende Menschen immer wieder einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind.
Finanzielle Unterstützung

Die finanzielle Versorgung von Geflüchteten ist in jedem Land anders geregelt. In Griechenland beispielsweise erhalten die Geflüchteten, die in einem Camp registriert sind, eine sogenannte Cash Card. Mit dieser können sie monatlich einen bestimmten Betrag abheben, der sich anhand der Größe ihrer Familie bemisst. Dieser Betrag ist jedoch so knapp bemessen, dass es für den nötigsten Grundbedarf ausreicht, die Menschen aber für weitere Anschaffungen (Kleidung, Haushaltsartikel usw.) auf die Unterstützung durch gemeinnützige Organisationen und Projekte angewiesen sind.
Versorgung

Die Versorgung mit Nahrungsmitteln kann von Camp zu Camp sehr unterschiedlich ausfallen. Während die Menschen in einigen Camps die Möglichkeit haben, selbst zu kochen, wird dieses in anderen Camps untersagt und sie werden täglich mit abgepackten Mahlzeiten versorgt, die meist wenig Nährstoffe enthalten. In einigen Fällen wird die Lebensmittelversorgung auch von humanitären Organisationen oder Projekten übernommen.
Lage des Camps und Bewegungsfreiheit

Über die Bewegungsfreiheit bzw. die Möglichkeit, sich außerhalb des Camps aufzuhalten, ist die Lage des Camps sehr entscheidend. Handelt es sich beispielsweise um ein Camp, welches weit entfernt von einer nächsten größeren Stadt angesiedelt ist, müssen seine Bewohner*innen meist hohe Summen für die öffentlichen Verkehrsmittel aufbringen. Asylsuchende sind auf gute und günstige Verkehrsanbindungen angewiesen, da sie zu zahlreichen Terminen in verschiedensten Behörden erscheinen müssen. Aber auch, um die unterstützenden Angebote von Organisationen wahrnehmen zu können, müssen viele Geflüchtete mehrere Stunden Fahrt aus ihren abgelegenen Camps auf sich nehmen. Die Lage der Camps kann somit auch einen enormen Einfluss auf die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe haben. Verhängte Ausgangssperren während der COVID-19-Pandemie schränken die schon stark eingeschränkte Bewegungsfreiheit noch weiter ein.
Zugang von Nichtregierungsorganisationen (NROs) und Projekten

Ob und inwiefern externe Organisationen und Projekte Zugang zu Camps haben, kann die Art des Camps, die Lebensbedingungen seiner Bewohner*innen und die Möglichkeiten der Aktivität und Teilhabe stark beeinflussen. In vielen Fällen wurden die Zugänge inzwischen stark eingeschränkt. Ist ein Camp vollständig abgeschottet von jeglichem externen Zugang, so geraten auch nur wenige bis keine Informationen über die Bedingungen im Camp an die Öffentlichkeit. Dabei sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass nicht jedes Hilfsprojekt eine Verbesserung der Lebensbedingungen im Camp verspricht. So waren einige Projekte in der Vergangenheit zwar gut gemeint, allerdings waren sie nicht auf Nachhaltigkeit oder Langfristigkeit ausgelegt, brachen wieder ab oder gingen unüberlegt vor und weckten so falsche Hoffnungen. Gut gemeint kann dennoch Enttäuschung und Schaden erzeugen.
Konfliktpotenzial

Die Zusammensetzung der Bewohner*innen eines Camps kann über die allgemeine Stimmung und das Konfliktpotenzial entscheiden. Es kann beispielsweise vorkommen, dass Menschen ethnischer, religiöser oder nationaler Gruppen, die im Herkunftsland gegeneinander Krieg führen, plötzlich in Nachbarschaft leben müssen. Dabei kann es immer wieder zu (gewaltvollen) Konflikten kommen. Die meisten Geflüchteten können ihre Camps jedoch nicht nach eigenem Ermessen verlassen oder wechseln. In Griechenland beispielsweise verlieren sie ihren Anspruch auf die Cash Card, sobald sie das Camp langfristig verlassen. Kommt es also zu Konflikten oder gewaltvollen Auseinandersetzungen, stehen sie vor der Wahl, sich dem Risiko weiterhin auszusetzen oder ihren Anspruch auf die Cash Card zu verlieren.
Hierbei handelt es sich nur um eine Auswahl an Aspekten, die die Lebensbedingungen der schutzsuchenden Menschen in Camps beeinflussen. Es wird schnell deutlich, dass es nicht das “eine” Camp gibt. Außerdem haben viele Geflüchtete aus unterschiedlichen Gründen keinen Zugang zu einem Camp und leben auf der Straße oder in verlassenen Gebäuden. Diese Menschen leben in prekärsten Verhältnissen. Mit Ausnahme einiger Projekte erhalten sie keinerlei Unterstützung. Auf Grund der schlechten Lebensbedingungen sind sie anfälliger für Parasiten und Krankheitserregern und sind in vielen Fällen von willkürlicher Polizeigewalt getroffen.

Setze dich deshalb vor Ort mit dem Thema auseinander: Ist das Projekt für ein bestimmtes Camp zuständig, versorgt es mehrere Camps in der Region oder handelt es sich um ein Angebot, welches von den Geflüchteten an einem zentralen Ort selbst aufgesucht wird? Um was für Camps und Zusammensetzungen von Menschen handelt es sich? Welche Konfliktpotenziale sind möglich und müssen bei der Arbeit bedacht werden?


Politische und Soziale Situation in Aufnahmeländern


Als internationale*r Freiwillige*r solltest du dich mit den politischen und sozialen Umständen des Landes auseinandersetzen, in dem du arbeitest. Ein Gespür für das Land und die lokale Bevölkerung kann dir dabei helfen, dich zurechtzufinden und deine Arbeit in den regionalen Kontext einzuordnen. Versuche deshalb, dich vorab ein wenig über das Land, die Region, die Politik und die Gesellschaft zu informieren.

Wichtige Fragen können sein:

  • Wie sieht die politische und soziale Situation des Landes aus, in dem du arbeiten möchtest?
  • Wer ist momentan in der Regierung?
  • Durch welche politischen und sozialen Konflikte zeichnet sich das Land/die Region gerade aus?
  • Wie gestalten sich öffentliche Debatten um die Themen Migration, Flucht und solidarische Unterstützungsarbeit?


Beispiel Griechenland

  • EU-Mitgliedsstaaten wie Griechenland leiden immer noch unter den Folgen der Finanz- und Eurokrise im Jahr 2007 bzw. 2010 und den auferlegten Sparmaßnahmen. Hinzu kommen Einbußen im Tourismusbereich durch hohe Anzahl ankommender Schutzsuchender in den Jahren 2015-2016 und auch der Corona-Pandemie.
  • Besonders wenn wir aus privilegierten EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland kommen, sollten wir die Lebensbedingungen und sozialen Gegebenheiten vor Ort sowie unsere eigene Position als internationale Freiwillige in diesem Kontext reflektieren.
  • Als Vergleich: Griechenland hat eine Arbeitslosenquote von ca. 14,4% (Stand Mai 2020; Quelle Statista) und Jugendarbeitslosenquote von 32,4% (ebd.). In Deutschland beträgt die Arbeitslosenquote nur 3,9% (ebd.) und die Jugendarbeitslosigkeit 5,4%. In Griechenland ist außerdem die staatliche Unterstützung für Bedürftige nicht in gleicher Art gewährleistet wie in Deutschland und auch viele arbeitslose Griech*innen sind auf die Unterstützung durch gemeinnützige Organisationen und ihre Familien angewiesen.


Quellen:
Statista (2020): Europäische Union. Jugendarbeitslosenquoten in den Mitgliedsstaaten im Juni 2020. Statista (2020): Europäische Union. Jugendarbeitslosenquoten in den Mitgliedsstaaten im Juni 2020.
Statista (2020): Europäische Union. Arbeitslosenquoten in den Mitgliedsstaaten im Juni 2020. Statista (2020): Europäische Union. Arbeitslosenquoten in den Mitgliedsstaaten im Juni 2020.
 
 

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