Hintergrundwissen
Online-Begleitung für Freiwillige an Europas (Außen-)Grenzen
4. Die Bedeutung von Begriffen
Welche Sprache und Begriffe verwendet werden, beeinflusst, wie wir über das Gesagte denken. Daher ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, welche Begrifflichkeiten verwendet werden. Wir haben hier ein kleines Glossar erstellt, in dem wir darstellen, was wir unter den von uns verwendeten Begriffen verstehen.
Warum sind Sprache und die Wahl der Begriffe, die wir verwenden, wichtig?
- Begriffe sind keine neutralen Worte, die die Realität so beschreiben, wie sie ist. Stattdessen kreieren sie immer ein Bild vor dem inneren Auge und transportieren viele Informationen mit sich, die mal mehr, mal weniger versteckt im Begriff stecken. Sprache ist also sehr machtvoll und definiert die Menschen, Dinge und Phänomene, über die wir sprechen.
- Daher ist es wichtig, bewusst mit Sprache und Begriffen umzugehen, gerade weil sich die Sprache auch in einem rassistischen Kontext entwickelt hat. Das heißt, dass sie einen Rahmen bietet, Rassismus (auch unbewusst) weiter auszuüben. Gleichzeitig kann Sprache auch Ausdruck von Gegenerzählungen sein. Das heißt, dass Sprache und Begriffe eben auch genutzt werden können, um auf Rassismen hinzuweisen und ihnen entgegenzutreten.
Dieses Glossar beinhaltet nur eine kleine Auswahl von Begriffen, die im Kontext der Freiwilligenarbeit mit Geflüchteten wichtig sind. Die Erklärungen spiegeln unser jeweiliges Verständnis des Begriffs dar.
Rechtlich gesehen bezeichnet der Begriff “Asylsuchende” Menschen, die Asyl, also Schutz, beantragt haben oder die Absicht haben, dies zu tun, denen aber noch kein offizieller Schutzstatus zuerkannt wurde. Die Bezeichnung wird jedoch auch synonym zu “Geflüchtete” verwendet.
Der Begriff ‘Entwicklungshilfe’ wurde bis in die 1980er Jahre für entwicklungspolitische Maßnahmen verwendet. Da er implizit die Überlegenheit des Landes, das ‘hilft’, ausdrückt, wird nun häufig der Begriff 'Entwicklungszusammenarbeit' verwendet, da er ein partnerschaftliches Miteinander in sich trägt. Allerdings ist auch der Bestandteil ‘Entwicklung’ in dem Wort problematisch. Er impliziert, dass eine ‘Entwicklung’ in Richtung europäischer, kapitalistischer Ideen und Standards notwendig sei. Egal, ob von Hilfe oder Zusammenarbeit gesprochen wird, sind es häufig die Geldgeber*innen (meist westliche Staaten), die entscheiden, wer oder welches Projekt Geld bekommt und wie dieses Geld verwendet wird. So werden Abhängigkeiten gefördert. Diese Abhängigkeiten kann man auch als Fortsetzung von kolonialen Strukturen bezeichnen. Hier haben westliche Akteur*innen (z.B. Nationalstaaten, Konzerne) die Vorstellung, überlegen zu sein und zu wissen, was besser für aus ihrer Sicht ‘unterentwickelte’ Regionen ist. Dabei wird ausgeblendet, dass bestehende Systeme vom Kolonialismus - und daher durch die gleichen “Mächte”, die jetzt ‘helfen’ - zerstört wurden.
Als Eurozentrismus wird eine Einstellung bezeichnet, welche europäische Lebensweisen, Normen und Werte bzw. die, die als “westlich” verstanden werden, unhinterfragt in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt und sie als Standard begreift.
Siehe Einheit 2 für mehr Infos zu Eurozentrismus.
Flucht ist das Ausweichen vor einer lebensbedrohenden Zwangslage. Flucht ist selten ein linearer Prozess, vielmehr bewegen sich Geflüchtete meist in Etappen: Häufig lässt sich zunächst ein überstürztes Ausweichen in die nächste Stadt oder einen anderen als sicher erscheinenden Zufluchtsort in der unmittelbaren Nähe ausmachen, dann die Weiterwanderung zu Verwandten und Bekannten in einer benachbarten Region bzw. einem Nachbarstaat oder das Aufsuchen eines informellen oder regulären Lagers.
Im Asylsystem sind einige Fluchtgründe anerkannt, wie beispielsweise die Flucht vor politischer Verfolgung. Andere Gründe wie die Flucht vor Armut oder Umweltkatastrophen sind rechtlich nicht abgedeckt. Dass die Abwägungen, die Heimat zu verlassen, meist viel komplexer sind und nicht auf einzelnen Gründen beruhen, wird von europäischen Behörden häufig nicht anerkannt, weswegen die Definition des Begriffs “Flucht” im Asylkontext aus unserer Sicht anzweifelbar ist.
Der Begriff “Flüchtling” ist ein rechtlicher Begriff für Menschen, die einen Schutzstatus vom Staat oder dem UNHCR (dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen) zugewiesen bekommen haben. In der Alltagssprache wird der Begriff häufig unabhängig vom Rechtsstatus verwendet. Aufgrund der verniedlichenden und negativen Konnotation der Endung “-ling” ist der Begriff jedoch umstritten und auch wir versuchen, ihn zu vermeiden.
Die Bezeichnungen “Geflüchtete” oder “geflüchtete Menschen” werden als Alternativbegriffe für “Flüchtlinge” verwendet, weil damit die als kleinmachend und teils abwertend empfundene Endung »-ling« umgangen wird. Da es sich um keinen juristischen Begriff handelt, ist er bei der Berichterstattung in vielen Fällen einsetzbar: “geflüchtete Menschen” können auch jene sein, die keinen offiziellen Flüchtlingsstatus haben.
Die politische Einteilung in Globaler Norden und Globaler Süden verweist auf die unterschiedliche Erfahrung mit Kolonialismus und Ausbeutung - einmal als Profitierende und einmal als vornehmlich Ausgebeutete. Mit dem Begriff Globaler Süden wird eine heute im globalen System benachteiligte gesellschaftliche, politische und ökonomische Position beschrieben, die eine Konsequenz von Imperialismus darstellt. Der Globaler Norden hingegen bestimmt eine mit Vorteilen bedachte und ökonomisch mächtige Position. Während durch Begriffe wie „Entwicklungsländer“ eine bestimmte Illusion von Entwicklungsstadien zum Ausdruck kommt, die manche Länder bereits durchschritten hätten und andere noch müssten, wird mit dem Begriffspaar Globaler Süden bzw. Norden versucht, grundsätzlich unterschiedliche politische, ökonomische und kulturelle Positionen zu benennen. Die Einteilung in Süd und Nord ist dabei nur bedingt geographisch gedacht. Australien gehört beispielsweise genau wie Deutschland mehrheitlich dem Globalen Norden an, weil der Großteil der Bevölkerung eine privilegierte ökonomische Position genießt. Es gibt aber in beiden Ländern auch Menschen, die Teil des Globalen Südens sind, zum Beispiel Aboriginal Australians oder illegalisierte Personen in Deutschland. Andersherum gibt es auch in Ländern, die mehrheitlich dem Globalen Süden angehören, Menschen, die die bevorteilte Position des Globalen Nordens genießen - sei es, weil sie weiß sind und/oder weil sie aufgrund ökonomischer Ressourcen zur global privilegierten Klasse gehören.
Grenzen trennen zwei Seiten voneinander. Diese Trennung von Territorien, aber auch von verschiedenen Identitäten, sind nicht natürlich gegeben, sondern von Menschen gemacht. Außerdem werden diese Territorien und Identitäten erst durch die Grenzen erschaffen, indem sie sie von jeweils anderen abgrenzen. Diese Abgrenzung geht häufig mit Gewalt einher.
Intersektionalität (aus dem engl. intersection = Schnittmenge) bezeichnet das Verweben von unterschiedlichen Diskriminierungen. Eine Person kann aus verschiedenen Gründen diskriminiert werden: Geschlechtsidentität, Sexualität, Herkunft, Sprache, Aufenthaltsstatus, Aussehen, Alter, soziale Herkunft und sozialer Status, Körper, Befähigung(en) und Behinderung(en) usw. Diskriminierung bedeutet, dass Menschen weniger Möglichkeiten haben: Sie werden beleidigt, finden nicht so schnell eine gute Ausbildung oder Arbeit, werden als weniger gut, oder Nicht-Zugehörung usw. angesehen. Diese Schnittmenge von Intersektionalität benennt die Erfahrung von mehreren Diskriminierungsmechanismen gleichzeitig. Häufig wird hier der Begriff mehrfach-diskriminiert verwendet. Die Diskriminierungsmechanismen fügen sich jedoch nicht hinzu, sondern sie überschneiden sich. In diesen Überschneidungen und Verbindungen entstehen eigene, sozusagen neue Diskriminierungsmechanismen. Das ist was Intersektion ausdrücken möchte. Ein Begriff, der diese unterschiedlichen Ebenen, also Dimensionen, ausdrückt, wäre dafür Mehrdimensionale-Diskriminierungen.
Der Begriff ‘irregulär’ oder ‘irreguläre Migration’ wird verwendet, um zu verdeutlichen, wenn Menschen keinen regulären Aufenthaltsstatus besitzen. Häufig wird auch der französische Begriff ‘Sans-Papiers’ (ohne Papiere) verwendet. Dabei darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass Betroffene meist über Papiere und Dokumente verfügen, nur eben nicht über einen europäischen Aufenthaltstitel. Der Begriff ‘illegal’ wird bewusst vermieden, da er stigmatisiert und ‘irreguläre’ Migrant*innen als kriminell darstellt. Dennoch muss auch mit dem Begriff “irregulär” vorsichtig umgegangen werden, da er zum einen häufig mit “illegal” in Verbindung gesetzt wird. Zum anderen wird er teilweise pauschalisierend für Menschen genutzt, die europäische Grenzen überqueren und noch keinen regulären Aufenthaltsstatus haben können, da sie noch nicht die Möglichkeit hatten, einen Asylantrag zu stellen.
Wir verwenden bewusst den Begriff “Lager” statt “Camps” für die Unterbringung von Geflüchteten in großen Zentren, da unserer Ansicht nach der Begriff “Camp” euphemistisch ist für die dort herrschenden unmenschlichen Bedingungen. Der Begriff “Lager” soll genau darauf aufmerksam machen.
Ein Mensch zieht in ein anderes Land und lebt dort.
Migrantische Selbstorganisationen sind von Migrant*innen gegründete Organisationen zum Austausch und zur gemeinsamen Arbeit mit anderen Migrant*innen.
Paternalismus ist, wenn sich Unterstützer*innen von Geflüchteten als ‘Helfende’ und Geflüchtete als ‘Hilfe-Empfangende’ sehen. Problematisch dabei ist, dass die ‘Hilfe-Empfangenden’ als ohnmächtig, hilflos und unfähig, selbst zu handeln, wahrgenommen werden. Daraus kann folgen, dass ‘Helfende’ Geflüchtete bevormunden und an Stelle von ihnen entscheiden, was für die jeweils andere Person am besten sei. Dadurch werden ‘Hilfe-Empfangende’ von ‘Helfenden’ entmündigt.
People of Color verwenden Menschen, die rassistische Diskriminierungen in weißen Mehrheitsgesellschaften erfahren, als gemeinsame politische Selbstbenennung. Die positive Verwendung des Begriffs hat ihren Ursprung in der Black Power-Bewegung in den USA Ende der 1960er Jahre. People of Color wird nicht übersetzt, weil der Begriff sich nicht auf „farbig“ bezieht, sondern auf die Vielfalt der Erfahrungen, Biografien und Herkünfte. Politische Selbstbezeichnungen sind aus einem Widerstand entstanden und stehen bis heute für die Kämpfe gegen diese Unterdrückungen und für mehr Gleichberechtigung. Die ebenfalls häufig verwendete Bezeichnung BIPoC stammt aus dem US-amerikanischen Kontext und steht für "Black, Indigenious and People of Color".
Der Begriff beschreibt Menschen, die sich in Bewegung befinden. Er wird verwendet, um Menschen unabhängig von ihren Bewegungsgründen, Zielen und rechtlichen Kategorien zu beschreiben. Statt der Bewegungsgründe liegt der Fokus auf people, also den Menschen. Der Begriff definiert außerdem nicht, wer die Menschen sind, wie es z.B. bei dem Begriff “Flüchtling” der Fall ist, sondern er beschreibt den Zustand - in Bewegung sein - in dem sich Menschen befinden.
“Push-Backs” bezeichnen die rechtswidrige und häufig gewaltvolle Zurückdrängung von schutzsuchenden Menschen an Grenzen - ausgeübt von dem Land, in das die Menschen einreisen möchten, zurück in das Land, aus dem die Menschen ausreisen möchten. Siehe auch dieses Video.
“Pull-Backs” bezeichnen das rechtswidrige und häufig gewaltvolle Zurückholen von schutzsuchenden Menschen an Grenzen - ausgeübt von dem Land, aus dem die Menschen ausreisen möchten. Häufig können “Pull-” und “Push-Backs” nicht klar voneinander getrennt werden, weil die Länder auf beiden Seiten der Grenze involviert sind.
Rassismus ist ein globales soziales Phänomen, das nicht losgelöst von seiner historischen Verbindung mit dem Kolonialismus, Versklavung, ökonomischer Ausbeutung und der Entstehung des Kapitalismus betrachtet werden kann, die bis heute unsere Gesellschaft maßgeblich prägen.
Siehe Einheit 2 für mehr Infos zu Rassismus.
siehe “Asylsuchende”
Wir benutzen hier die Bezeichnungen Schwarz und weiß als Begriffe, die politische und soziale Konstruktionen darstellen: Sie beschreiben nicht die Hautfarben von Menschen, sondern ihre Position in einer Gesellschaft. Dabei geht es um eine ungleiche Machtverteilung, in dem weiß Interessen gegenüber Schwarz strukturell durchsetzen kann. Schwarz ist eine Selbstbezeichnung von Rassismus betroffener Menschen, die als Gegenentwurf zu rassistisch geprägten Begriffen dient (die hier nicht extra genannt werden). Als politischer Begriff schreiben wir Schwarz deshalb groß. Weiß schreiben wir kursiv, um die dominante Machtposition zu kennzeichnen, die sonst meist unsichtbar bleibt, denn wenn nur ein Teil der Menschen „explizit“ beschrieben wird und eine zusätzliche Kategorie bekommt, wie es leider häufig der Fall ist, dann gilt der andere Teil implizit als „normal“.
Sogenannte “sichere Drittstaaten” sind von Mitgliedstaaten der EU bestimmte Staaten, die als vermeintlich sicher gelten. Menschen, die über einen “sicheren Drittstaat” in die EU einreisen, wird das Grundrecht auf Asyl verwehrt, da sie in dem Drittstaat vermeintlich sicher sind. Allerdings zählen viele Länder zu der Liste der “sicheren Drittstaaten”, wie beispielsweise die Türkei, obwohl Menschenrechtsverletzungen dort dokumentiert sind.
Neben dem Ideal der Gleichheit aller Beteiligten beinhaltet der Begriff Solidarität zusätzlich die Kritik an Strukturen, die Ungleichheit produzieren. Diese Strukturen betreffen uns alle, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Solidarität bedeutet, zusammen Werte und Ziele zu diskutieren, Gemeinsamkeiten auszuloten, Engagement gegen diese Strukturen zu unterstützen: Gemeinsam versucht man, Diskriminierungen zu identifizieren und zu überbrücken, welche die betroffene Person daran hindern, auf gleichberechtigte Weise Entscheidungen für das eigene Leben zu treffen. Somit ist Solidarität auch ein Streben nach gesellschaftlicher und politischer Veränderung. [...] Praktische Solidarität bedeutet, allen Beteiligten zuzuhören und ihre Bedürfnisse zu beachten, selbstkritisch das eigene Tun zu hinterfragen und die ungleichen Machtverhältnisse innerhalb und zwischen Gruppen zu verringern.
Ein besonderes Phänomen von internationaler Freiwilligenarbeit ist der sogenannte Voluntourismus, also eine Verbindung von “Volunteering” (engl.: Freiwilligenarbeit) und “Tourismus”, bei dem letzteres im Fokus steht. Bei den Anbietern solcher Formen von Freiwilligenarbeit handelt es sich meist um Agenturen, die Freiwilligenarbeit vor allem als Teil einer spannenden Reise und als Abenteuer anpreisen. Die Qualifikation und Eignung der Freiwilligen für die Mitarbeit im Projekt steht hier weniger im Fokus, als ihre finanziellen Möglichkeiten, die Reise und den Anbieter zu finanzieren.
Siehe Einheit 2 für mehr Infos zu Voluntourismus.
Siehe “Schwarz und weiß”
White-Saviourism (Weiße-Retter*innen-Komplex) beschreibt die Vorstellung oder Überzeugung, dass es das Einschreiten weißer Menschen aus dem Globalen Norden bedarf, um andere (nicht-weiße) Menschen(gruppen) aus ihrer Unterdrückung oder auch einfach nur aus einer scheinbar mangelhaften Lebenssituation zu “retten”.
Siehe Einheit 2 für mehr Infos zu White Saviourism.
Quellen:
glokal e.V.: Willkommen ohne Paternalismus. Hilfe und Solidarität in der Unterstützungsarbeit
Jochen Oltmer (2017): Globale Migration. Geschichte und Gegenwart. In: Bundeszentrale für politische Bildung
Mediendienst Integration (2023): Was bedeutet „irreguläre" oder "illegale Migranten“ oder „Sans-Papiers“?
Migrationsrat Berlin e.V.: Begriffsglossar
Neue deutsche Medienmacher: Glossar
Susan Arndt & Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.) (2019): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Münster
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