Praktische Arbeit
Online-Begleitung für Freiwillige an Europas (Außen-)Grenzen
7. Öffentlichkeitsarbeit
Deine Freiwilligenarbeit mit schutzsuchenden Menschen kannst du gut mit Öffentlichkeitsarbeit verbinden, um auf die Situation an den (Außen-)grenzen aufmerksam zu machen. In dieser Einheit möchten wir dich auf ein paar wichtige Gefahren und Herausforderungen von Öffentlichkeitsarbeit in diesem Kontext aufmerksam machen.
Hintergrund
Was hat Öffentlichkeitsarbeit mit Freiwilligenarbeit zu tun?
- Öffentlichkeitsarbeit ist ein wertvolles - aber auch machtvolles - Werkzeug, um in der Gesellschaft ein Bewusstsein für die Situation von Schutzsuchenden in Europa zu schaffen und langfristig den politischen Druck auf Entscheidungsträger*innen zu erhöhen, die Situation zu verändern.
- Es gibt verschiedene Möglichkeiten, in diesem Sinne Öffentlichkeits- und Advocacyarbeit zu betreiben und diese auch möglicherweise mit Fundraising zu verbinden (siehe Thema 7): Blogeinträge, Interviews, Rundmails, Facebook- oder Instagram-Posts sind alles sehr sinnvolle Instrumente, um auf die Situation vor Ort aufmerksam zu machen.
Vor dem Hintergrund, dass der Diskurs um Flucht und Migration in den letzten Jahren stark politisiert und konflikthaft aufgeladen ist, ist es notwendig, sich mit Gefahren und Herausforderungen der Öffentlichkeitsarbeit in diesem Kontext auseinanderzusetzen.
Grundsätze der Öffentlichkeitsarbeit
Worauf musst du achten?
Die folgenden vier Grundsätze sollen dir dabei helfen, gleichzeitig öffentlichkeitswirksame und dem Thema angemessene, sensible Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen deiner Berichterstattungen zu machen. So kannst du die Privatsphäre anderer schützen und ein würdevolles Bild von deinen Mitmenschen zeichnen.
Vermittle ein menschenwürdiges Bild!
- Bei der öffentlichen Dokumentation vieler Freiwilligenaufenthalte im Ausland wird nicht ausreichend darauf geachtet, die Würde anderer Menschen zu schützen. Das geschieht zum Beispiel durch eine objektivierende und häufig erniedrigende Verallgemeinerung von Menschengruppen sowie der Situation, in der sie sich befinden.
- Bestimmte Bilder verharmlosen die politische Unterdrückung, vor der viele Menschen fliehen, andere erzeugen eine Wahrnehmung von ganzen Menschengruppen als passive, und hilfsbedürftige “Opfer”, die der Situation der Menschen ebenfalls nicht gerecht werden.
- Es liegt in deiner Hand, wie deine Berichterstattung über die Situation von Schutzsuchenden wirkt und was sie bei den Menschen für Assoziationen auslöst! Achte also immer darauf, keine Stereotype oder schädliche Bilder zu reproduzieren. Vergewissere dich, dass deine Posts nicht dazu beitragen, dass beispielsweise Schutzsuchende entmenschlicht oder auf ihre Fluchterfahrung reduziert werden.
- Versuche deine Perspektive auf das Geschehen nach hinten zu stellen. Frage die Menschen, die du unterstützt, bzw. mit denen du arbeitest, nach den Geschichten, Bildern und Fakten, die sie an die Öffentlichkeit richten wollen und orientiere dich daran.
Hole das Einverständnis ein!
- Falls du es für notwendig hältst, einen Menschen bzw. eine Menschengruppe direkt darzustellen, ist es von zentraler Bedeutung, zu fragen, ob es in Ordnung ist, zu fotografieren oder zu filmen. Generell empfehlen wir, auf Aufnahmen von Einzelpersonen eher zu verzichten, es sei denn die Person wünscht dies ausdrücklich. Respektiere immer die Privatsphäre von Menschen und frage unter allen Umständen nach, ob du ein Bild/Video in deinen sozialen Netzwerken teilen darfst. Du möchtest ja bestimmt auch nicht ungefragt fotografiert oder gefilmt werden und dich auf irgendwelchen sozialen Netzwerken wiederfinden.
- Mache keine Fotos von kranken Menschen oder von Personen, die sich in einer erniedrigenden oder entwürdigenden Situation befinden.
- Sei besonders sensibel bei Kindern: Bevor du ein Foto von oder mit einem Kind machst, hol dir das ausdrückliche Einverständnis von den Eltern und frage natürlich auch das Kind.
- Sprich dich in jedem Fall mit deiner Organisation über mögliche Richtlinien zur Berichterstattung im/über das Projekt ab. Zum Beispiel gibt es Organisationen, die streng darauf achten, dass Menschen keinesfalls erkennbar sein sollen und dementsprechend die Bilder verpixelt sein müssen. Solche Maßnahmen halten wir für sinnvoll.
Hinterfrage deine Absichten!
- Was sind deine Absichten als Freiwillige*r? Engagierst du dich, um dich zu solidarisieren, um dich persönlich weiterzuentwickeln oder hast du vielleicht ganz andere Beweggründe? Die Antworten auf diese Fragen werden deine Berichterstattung beeinflussen und somit auch das Bild, dass du von der Situation vor Ort zeichnest. Wer spielt hier die Hauptrolle, wer erzählt eine Geschichte und durch welche Brille wird die Situation betrachtet?
- Frage dich immer, bevor du etwas in deinen sozialen Netzwerken teilst, wieso du das tust. Gute Intentionen, wie beispielsweise das Schaffen von Bewusstsein über die Situation von Geflüchteten oder das Spendensammeln, sind keine Rechtfertigung für die Verletzung der Würde oder Privatsphäre anderer Menschen oder die Überschattung bzw. Missachtung ihrer Selbstwahrnehmung.
- Hinterfrage auch, ob du lediglich deine Wahrnehmung mit deiner Berichterstattung unterstützt, oder ob du versuchst, die Perspektive von Menschen auf der Flucht, welche nach wie vor selten in westlichen Medien zu finden sind, wiederzugeben. Manchmal ist weniger mehr. Es ist auch nicht immer an dir, eine Geschichte zu erzählen. Lass in bestimmten Situationen lieber andere Menschen sprechen, und teile deren Öffentlichkeitsauftritt in deinen Kreisen.
Brich Stereotype auf!
- Nutze deine Blogeinträge, Posts und Erzählungen, um ein differenziertes Bild der Situation und der Menschen darzustellen. So kannst du diskriminierende Stereotype aufbrechen anstatt sie weiter zu reproduzieren.
- Schau dir deine Berichterstattung aufbauend auf diesen Fragen noch einmal ganz genau an:
- Werden darin Menschengruppen homogenisiert bzw. stereotypisiert?
- Stellst du die Individuen in deinen Erzählungen würdevoll dar?
- Werden Weiße Freiwillige als Retter*innen oder Held*innen inszeniert?
- Wer ist in dem Bild in einer aktiven, wer in einer passiven Rolle?
Checkliste
Wie prüfe ich meine Posts in sozialen Netzwerken?
- Hinterfrage deine Absichten: Warum postest du diesen Inhalt oder dieses Foto? Ist es notwendig, oder gibt es authentische Inhalte von jeweils betroffenen Personen, die du stattdessen teilen könntest?
- Hast du das Einverständnis der Person oder des erziehungsberechtigten Menschen im Falle eines Fotos?
- Kennst du den Namen und die Hintergrundgeschichte der dargestellten Person(en)?
- Würdest du gerne so porträtiert werden, wie die Person(en) in deiner Berichterstattung? Wirst du ihrer Situation damit gerecht?
- Hast du den fotografierten Menschen eine Kopie oder einen Link zu der Berichterstattung angeboten?
- Falls du Namen von Person(en), Organisationen etc. verwendest, hast du das Einverständnis, diese auch zu nutzen?
- Stellst du Repräsentationen bestimmter Traditionen, Religionen und Kulturen respekt- und würdevoll dar?
- Hast du keine erniedrigenden oder schädlichen Bilder von Menschen, auch nicht - bzw. besonders von - kranken Menschen verwendet?
- Stellst du dich nicht als Held*in oder Retter*in dar?
- Brichst du tendenziell mit medialen Stereotypen und Verallgemeinerungen und stellst ein differenziertes Bild der von dir abgebildeten Situation dar?
Quelle: RaidiAid Social Media Guide
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