Ein Phänomen, dass eine hohe Anziehungskraft in internationaler Freiwilligenarbeit besitzt, ist der sogenannte Voluntourismus. Die Wortneuschöpfung beschreibt eine Verbindung von “Volunteering” (engl.: Freiwilligenarbeit) und “Tourismus”, bei der letzteres im Fokus steht.
Die Vorteile dieser Freiwilligenarbeit kommen dabei einzig und allein den Freiwilligen selbst zugute: Sie erleben ein internationales und interkulturelles “Abenteuer”, machen neue Bekannt- und Freundschaften, können die Erfahrungen meist für ihre Lebensläufe nutzen und schließen ihren Aufenthalt unabhängig von der Realität mit dem Gefühl ab, “etwas Gutes” getan zu haben.
Oft ist es für lokale Organisationen, die Freiwillige aufnehmen, schwierig, die Situation offen zu kritisieren, da diese von Verträgen mit den Agenturen bzw. finanziell von den Freiwilligen abhängig sind.
Mit Sicherheit haben viele Freiwillige grundsätzlich gute Intentionen und wollen durch ihr Engagement tatsächlich helfen. Aber natürlich basiert der Erfolg und die Wirkung sozialer Projekte in Ländern des Globalen Südens nicht auf der Arbeit Freiwilliger aus westlichen Ländern, welche für einen kurzen Zeitraum aus dem Ausland eingeflogen werden oder einen Abstecher in ihrer Urlaubsreise machen, um mit ihren limitierten Fähigkeiten Unterstützung zu leisten.
Für viele Menschen in den Gastländern oder in den Projekten ist diese Form von Freiwilligenarbeit häufig eher schädlich als alles andere. Ein Beispiel ist das freiwillige Engagement für einige Wochen oder Monate in Waisenhäusern und die Strukturen, die dadurch entstehen. Die Organisation ReThink ORPHANAGES arbeitet heraus, dass die hohe Nachfrage an Projekten in Waisenhäusern dazu führt, dass Kinder aktiv rekrutiert werden um Plätze in Waisenhäusern zu füllen und dadurch von ihren Familien getrennt werden können. Hinzu kommt, dass die Rechte und der Schutz von Kindern in diesen Projekten vernachlässigt werden können: Einige Organisationen führen keine Kontrolle der Führungszeugnisse durch, wie es sonst bei der Arbeit mit Kindern üblich ist, und der wiederholte Wechsel von Freiwilligen kann zu der Entwicklung von Bindungsstörungen bei Kindern beitragen. Ähnliche Kritikpunkte können besonders bei der Arbeit mit Kindern in Camps für Geflüchtete angebracht werden. Steht die Arbeit mit vulnerablen Gruppen im Zentrum eines Projektes, sollten freiwillige Unterstützer:innen stets hinterfragen, ob die eigene Qualifikation für die jeweilige Arbeit ausreicht, die Rechte der Menschen gewahrt werden und der meist kurze Aufenthalt wirklich zu einem Mehrwert für das Projekt und die Menschen, die dieses unterstützen soll, beiträgt. Besonders letzteres beinhaltet eine kritische Reflexion der eigenen Motivation und Wirkmächtigkeit in den Projekten.
Schau genau hin bei der Auswahl deiner Organisation:
Erfüllt sie ein gewisses Maß an kritischer Selbstreflexion und achtet auf Nachhaltigkeit? Soziale Projekte wollen meist langfristig eine Lücke im System schließen oder einen bestimmten Notstand überbrücken. Wenn Projekte aber nicht lange bestehen bleiben oder Versprechungen machen, die sie nicht einhalten, können sie viel Schaden anrichten oder eine noch größere Lücke hinterlassen. Werden zum Beispiel politische Strukturen, welche die Ursache für ein Problem sind, durch das Projekt aufrechterhalten, oder zielt dieses darauf ab, diese zu verändern? Deswegen gilt an vielen Stellen zurecht der oberste Leitsatz der humanitären Hilfe: Do no harm!
Hilft deine Reise der Gemeinschaft oder den Personen vor Ort wirklich?
Nimm dir die Zeit und überprüfe, ob dein geplanter Freiwilligenaufenthalt der Gesellschaft vor Ort tatsächlich hilft, oder ihr sogar kurz oder langfristig schaden kann. Um tatsächlich dabei zu helfen, bestimmte soziale Probleme zu beheben, ist häufig eine finanzielle Unterstützung eines von dir ausgewählten Projekts mindestens genauso sinnvoll, wie das Geld in die Reise zu investieren. Ansonsten kann auch an vielen Stellen eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema und daraufhin eine Interessensvertretung (zum Beispiel durch Gespräche, Petitionen, Kampagnen oder ähnliches) zu Hause im Sinne deines gewollten Ergebnisses sein.
Für alle die noch mehr über Voluntourismus erfahren möchten können wir den TED Talk von Hannah Ward empfehlen. Ab Minute 4:55 spricht sie über Ethische Freiwilligenarbeit und Voluntourismus.