Leona ist Teil des Brückenwind-Teams, Medizinstudentin und hat zwei Monate in Thessaloniki, Griechenland verbracht. Dort arbeitete sie mit dem Verein “Medical Volunteers International e.V.”(MVI). Der Verein bietet mit einem Team aus Pflegekräften, Studierenden und Ärzt*innen eine medizinische Basisversorgung für Geflüchtete und Obdachlose – also für Menschen, die oft nur einen begrenzten Zugang zum griechischen Gesundheitssystem haben.
Hier berichtet sie uns von ihrer Arbeit und der aktuellen Situation.
Thessaloniki ist als Teil der sogenannten Balkanroute eine Stadt, in der Viele stranden, aber Wenige bleiben möchten. Es ist eine Durchgangsstadt. Familien kommen häufig in Camps unter. Für unser Patient*innenkollektiv, welches zum Großteil aus alleinstehenden Männern bestand, heißt es eher: Einige Tage Pause, regenerieren, und weiter. Die Menschen mit denen wir arbeiten kommen vor allem aus der Türkei an, zum Großteil stammen die Menschen aus Marokko, Algerien und Afghanistan. Es liegen also die Überquerung des griechisch-türkischen Grenzflusses Evros und ein zwei- bis dreiwöchiger Fußmarsch hinter ihnen. Von Thessaloniki aus geht es dann für viele weiter über Albanien, Bulgarien oder Nordmazedonien Richtung Mittel- und Westeuropa. Hier sind die Menschen noch recht motiviert zur Weiterreise, in Ländern wie Serbien dagegen haben die meisten schon deutlich mehr Pushbacks und Polizeigewalt erlitten.
Medizinisch ist die Situation aktuell schwierig. Das griechische Gesundheitssystem ist durch fehlende Finanzierung durchgehend überlastet – sodass die Versorgung nicht nur für Geflüchtete, sondern auch für Griech*innen mangelhaft ist. Durch COVID sind aufschiebbare und ambulante Behandlungen ausgesetzt, es werden nur Notfälle behandelt. Viele Menschen kommen in Thessaloniki mit chronischen Problemen, die sich durch fehlende Behandlung verschlimmert haben, an: Herzfehler, entzündete Metallplatten und Nägel nach Knochenbrüchen, alte Sehnenrisse. Keine lebensbedrohlichen Zustände, aber dennoch Zustände, die man schnellstmöglich behandelt haben möchte; vor allem vor dem Hintergrund, dass eine belastende, anstrengende Weiterreise bevorsteht. Solch eine notwendige Behandlung ist aber äußerst schwierig zu erreichen. Geflüchtete ohne Papiere haben keinen Zugang zur Krankenhausversorgung und auch mit Papieren werden Geflüchtete von Notaufnahmen oft abgewiesen. Meinem Eindruck nach gibt es dafür zwei Hauptgründe: Erstens fehlt, wie bereits erwähnt, oft die Akutheit und Dringlichkeit. Zweitens können häufig durch Sprachbarrieren Krankheitsverlauf und Beschwerden von behandelnden Ärzt*innen nicht genügend nachvollzogen und wichtige, präzisierende Nachfragen nicht geklärt werden. Um auf helfende Übersetzungsapps zurückzugreifen, fehlt es im Krankenhaus an der zeitlichen Kapazität und teilweise auch am Willen. Das kann dann zu einer falschen Einschätzung und fehlender Behandlung führen. Deshalb werden Patient*innen mit ernsten Fällen von uns ins Krankenhaus begleitet. Als medizinisch geschulte, englischsprechende Vermittlungsperson kann man so häufig für Klarheit und besseres Verständnis auf beiden Seiten und damit auch eine angemessenere Behandlung sorgen.
In Thessaloniki hat MVI in Kooperation mit dem Koch- und Versorgungsprojekt Wave Thessaloniki und dem Border Violence Monitoring Network Räume gemietet. Für die medizinische Versorgung dient ein praxisähnlicher zweigeteilter Raum, in dem zeitgleich Wundversorgung und ärztliche Behandlung angeboten werden. Je nach Ausbildung und Fähigkeiten der Freiwilligen kann zusätzlich Physiotherapie oder Akupunktur durchgeführt werden. Aktuell behandeln wir insgesamt circa 50 Patient*innen am Tag, in wärmeren Jahreszeiten werden es auch mehr.
Die Patient*innen kommen meist mit ähnlichen Beschwerden in unsere Klinikräume. Es gibt viele Gelenk- und Muskelbeschwerden durch das lange Laufen, gleichzeitig fehlt jedoch das Angebot für Physiotherapie. Die unzähligen Patient*innen mit Zahnschmerzen können zwar an öffentliche Krankenhäuser weitergeleitet werden, meist gelten sie aber nicht als Notfall – werden also nicht behandelt – und Zahnarztpraxen sind in Griechenland privat und somit zu teuer. Fast allen Patient*innen würde man gerne eine psychologische Betreuung anbieten, was aber wegen fehlender Kapazitäten und Sprachhürden nicht durchführbar ist.
Generell kann eine Behandlung von uns meist nur Beschwerden lindern und durch fehlende diagnostische Möglichkeiten keine Ursachen beheben. Bildgebende Verfahren wie Röntgen, CT, MRT oder auch Bluttests sind mit hohen Kosten verbunden und können von uns nicht durchgeführt werden. Unsere Diagnostik beschränkt sich deshalb auf Gespräche mit Hilfe unserer Übersetzer und körperliche Untersuchungen.
Die Patient*innenzahlen variieren tagtäglich aufgrund verschiedener Faktoren. Großen Einfluss hat die Aktivität der Polizei. Unser Patient*innenkollektiv gliedert sich in Menschen mit und ohne Papiere. Geflüchtete mit Papieren sind in Griechenland registriert und warten auf die nächsten Schritte ihres Asylverfahrens. Aus verschiedenen Gründen möchten oder können manche Menschen auf der Flucht sich nicht in Griechenland registrieren und sind somit ohne gültige Papiere im Land – ihnen ist also auch Zugang zum Gesundheitssystem (wie Behandlung im Krankenhaus) und zu weiteren Leistungen verwehrt. Die Polizei ist in Thessaloniki aktuell sehr präsent und streng im Umgang mit Geflüchteten. Es finden willkürliche Kontrollen statt, bei denen auch Menschen mit Papieren Angst vor wahllosen Konsequenzen haben müssen. Menschen ohne Papiere drohen bei einer Kontrolle Ausweisungen, Pushbacks (illegale Rückführungen, aus Thessaloniki vor allem in die Türkei) oder ein unbefristeter Aufenthalt im “Detention Center”, einem Strafgefängnis. Bei hoher Polizeipräsenz, beispielsweise an Feiertagen oder aktuell durch andauernde Studierendenproteste, ist der Weg zu unseren Praxisräumen zu riskant.
Zusätzlich spielt das Wetter eine große Rolle, da die Patient*innen aktuell COVID-bedingt draußen auf ihren Termin warten müssen und oft lange Anfahrtswege haben.
Mit dem Sommer werden sich wieder mehr Menschen auf den langen Weg nach Europa machen, sodass auch Patient*innenzahlen steigen werden. Vom griechischen Gesundheitssystem sind keine Verbesserungen zu erwarten, sodass eine faire, angemessene Gesundheitsversorgung weiter von Grassroot Organisationen wie Medical Volunteers International e.V. abhängen wird.