Was ist der „White Savior Complex”?
Der von Teju Cole geprägte Begriff „White Savior Complex“ beschreibt ein Phänomen, nach dem sich weiße Menschen aus dem Globalen Norden dazu berufen fühlen, in Ländern des Globalen Südens Entwicklungs-, Aufklärungs- oder Hilfsarbeit zu leisten. Damit sprechen sie sich irrtümlicherweise eine sehr große Verantwortung und vor allem Fähigkeit zu, die zwar gesellschaftlich und medial unterstützt wird, aber nicht unbedingt an die Realität geknüpft ist. In der Regel wollen die White Saviours mit ihrem Engagement zunächst „etwas zurückgeben“, bzw. „etwas Gutes tun“ – sie verfolgen also grundsätzlich ethische bzw. moralische Motive. Vielen ist dabei jedoch die historisch verankerte und komplexe Problematik von weißer Dominanz und Vorherrschaft nicht bewusst. Diese Illusion erhält seit Jahrhunderten existierende globale Machtstrukturen und Ungleichheiten aufrecht und wird am Ende häufig durch solche Formen des Engagements vielmehr verstärkt, als bekämpft. Was das bedeutet, wollen wir im Folgenden näher erklären:
Deutlich wird das Phänomen des White Saviourisms beispielsweise angesichts der zwar hochmotivierten, aber für den Zweck des Engagements meist unausgebildeten, Abiturient*innen, die nach dem Schulabschluss klassischerweise in Länder des Globalen Südens ziehen, um dort „zu helfen”. Die Tatsache, dass diese Freiwilligen meist ohne Qualifikation und notwendiges Wissen über die lokalen Umstände breitflächig in Projekten der sogenannten „Entwicklungszusammenarbeit“ eingesetzt werden und dort auch durchaus machtvolle Positionen einnehmen, verdeutlicht die Überheblichkeit seitens der Gesellschaft im Globalen Norden. Es wird impliziert davon ausgegangen, dass diese Freiwilligen Kompetenzen haben, die Personen aus der lokalen Gemeinschaft wiederum entweder gar nicht, oder zumindest nur auf gleicher Ebene zugesprochen wird.
Der White Savior-Komplex bezeichnet das Phänomen, dass Menschen glauben – bewusst oder unterbewusst sei zunächst dahingestellt – dass ihre Herkunft, ihre Erziehung und (Aus-)Bildung in einem Land des Globalen Nordens ihnen das Recht, das Wissen und die Legitimation verleihe, andere Menschen „aufzuklären“ oder zu „retten”. Diese anmaßende Überschätzung der eigenen Rolle fußt auf alten, rassistischen und durch den Kolonialismus geprägten Weltbildern, die bis heute die Vorstellung einer Vormachtstellung und „Weiterentwicklung“ europäischer Gesellschaften im Vergleich zum Rest der Welt in den Köpfen der Menschen verankern. Aus einem scheinbaren höheren „Entwicklungsstatus“, den der Westen angeblich im Vergleich zu anderen Gesellschaften und Kulturen einnimmt, folgt also der Irrtum der globalen Verantwortung, Gesellschaften im Globalen Süden nach dem westlichen Ebenbild und europäischen Standards zu prägen, bzw. – grob gesagt – vor (minderwertiger) Andersartigkeit zu „retten“. So werden nicht nur Machtstrukturen und von Rassismus geprägte Bilder der passiven und hilfsbedürftigen „Anderen“ reproduziert, sondern Themen auch stark verkürzt dargestellt. Denn in diesem Weltbild fällt komplett außer Acht, dass bestehende Knappheiten an Ressourcen und soziale Probleme in Ländern des Globalen Südens häufig eine direkte Folge von Kolonialismus und kapitalistischer Ausbeutung aus dem Globalen Norden sind. Eine weiße Verantwortung für die betrachteten Missstände besteht demnach zwar durchaus, wird hier aber falsch eingeordnet und verstanden und hat verheerende Konsequenzen.
Welche Rolle spielen soziale Medien dabei?
„Die Kulisse in Ländern des globalen Südens, als Requisiten Bewohner*innen und stets im Mittelpunkt die Influencer*innen, gerührt, schockiert, fassungslos von der sich neu erschließenden Welt. Voyeurismus, Armutstourismus, Grenzüberschreitung bei Menschen, die vermittelt bekommen, durch die Aufmerksamkeit „Erlösung“ zu erfahren und langfristig Hilfe zu bekommen. Neben der blitzschnellen Verbreitung von Bildern, die Machtstrukturen von weißen „Retternationen“ aufrechterhalten, bleiben Eingriffe und Dokumentation fremder Lebenswelten durchweg eurozentrisch und häufig unreflektiert.”
Viele junge Freiwillige verstärken gesellschaftlich verankerte Bilder durch die öffentliche, sehr einseitige Darstellung ihrer Erfahrungen und Erlebnisse in Hilfsprojekten. Dabei steht meist ihre eigene aktive Rolle im Projekt im Mittelpunkt, während sie die wahrgenommene Hilfsbedürftigkeit inszenieren und mit ihren eigenen Lebensrealitäten kontrastieren. So werden Stereotype von Passivität, Bedürftigkeit, aber auch scheinbarer Rückständigkeit vermittelt. Die Menschen und ihre Perspektive auf die Situation oder auch ihre Haltungen zu solchen Formen von Freiwilligenarbeit – die sich keinesfalls mit der Einschätzung der Freiwilligen decken müssen – tauchen dabei meist nicht auf.
Beim „White Saviorism“ geht es jedoch um mehr als nur das Musterbeispiel einer Gruppe weißer Teenager, die für ein zweiwöchiges Hilfsprojekt nach Bangladesh fliegt, um in einem Waisenhaus mit gebrochenen Sprachfähigkeiten und fehlender pädagogischer und didaktischer Ausbildung Englisch zu unterrichten. Es geht auch um politische Kampagnen, beliebte Darstellungen in Filmen, Schulbüchern oder auch um Spendenplakate, die die Realität gesamter Bevölkerungsgruppen und Gesellschaften zu einem einheitlichen Opferbild verzerren. Besonders letztere erwecken häufig den Eindruck, eine weiße Einzelperson könne beispielsweise das Problem Armut in dem nicht näher definierten Kontext wie „Afrika“ durch eine Spende beenden und damit zum Weißen Retter werden. Durch diese Verantwortungsübergabe auf Einzelpersonen werden die dahinterstehenden politischen und wirtschaftlichen Strukturen verdeckt und nicht in Verantwortung gezogen.
Worauf sollte man im eigenen Handeln also achten?
Was gibt es für Handlungsempfehlungen, wenn man auf Instagram & Co. über eine Auslandsreise oder die eigene Freiwilligenarbeit im Globalen Süden berichtet? Und was muss sich darüber hinaus noch verändern? Antworten auf diese Fragen liefert beispielsweise der lesenswerte Artikel von Fabienne Sand, erschienen im Blogzine „This Is Wayne Jane”. Der Artikel eignet sich mit seinen wertvollen Beispielen und Erklärungsvideos super als Einstieg in das Thema!
„Lets make white saviorism so out of style that people actually think twice before posting that poverty porn on social media.
Lets make it so uncool that the norm becomes asking critical questions instead of offering unconditional praise for anything white People do overseas“
tweet von @nowhitesaviors
Wir als BrückenWind sehen die Auseinandersetzung mit dem White Savior Komplex deshalb als zwingend notwendig an, weil wir glauben, dass diese Verhaltensweisen oft unterbewusst und unbemerkt passieren. Wir kennen die den White-Saviour-Komplex aus eigener Erfahrung und möchten gemeinsam mit anderen Menschen versuchen, solche problematischen Muster in internationaler Freiwilligenarbeit, aber auch in öffentlichen Diskursen, aufzubrechen und zu verändern. Wenn euch das Thema interessiert, findet ihr mehr dazu auf dieser Website und in unserer Online-Begleitung für Freiwillige!
Mehr dazu:
Artikel: https://www.arte.tv/de/articles/white-saviorism-wenn-hilfe-nicht-hilfreich-ist
Podcast: https://www.buzzsprout.com/783935
Video: https://www.youtube.com/watch?v=oJLqyuxm96k
Video: https://www.youtube.com/watch?v=T_RTnuJvg6U