Was passiert gerade in Serbien? Wie sieht die Situation der Geflüchteten und Freiwilligen dort aus? Aus Nordserbien berichtet unsere Brückenwindlerin Isabell, die dort aktuell als Koordinatorin für die Organisation Collective Aid arbeitet.
Trotz der Abschottungspolitik der Europäischen Union und der zunehmenden Schließung der europäischen Außengrenzen, insbesondere der offiziellen Schließung der sogenannten Balkanroute im März 2016, ist Serbien so wie andere Länder der Balkanregion noch immer ein Transitland für viele Geflüchtete.
Jedes Jahr versuchen noch immer zehntausende Geflüchtete über eine der Landesgrenzen des Balkans, auf der Suche nach Schutz, nach Westeuropa zu gelangen. Von Serbien aus vor allem über Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Ungarn, aber immer mehr auch über Rumänien. Viele von ihnen riskieren dabei aufgrund von Perspektivlosigkeit auf den gefährlichen Routen ihr Leben. Laut offiziellen Angaben sind innerhalb Serbiens im Jahr 2019 20 Menschen bei einem solchen Versuch gestorben. Expert*innen schätzen die Dunkelziffer allerdings als sehr viel höher ein. Das liegt daran, dass Überlebende von gescheiterten Versuchen, eine der Grenzen zu überqueren, meist nicht zur Polizei gehen. Jeden Tag werden alleine an den Grenzen zu Kroatien und Ungarn im Durchschnitt mehrere hundert Menschen völkerrechtswidrig zurück nach Serbien geführt.
Vor dem Ausruf des Notstandes aufgrund der Covid-19-Pandemie befanden sich ca. 7.000 Geflüchtete in offiziellen Unterkünften in Serbien. Diese Zahl stieg im Verlauf von März und April auf ca. 9.000 Geflüchtete an. Dabei beträgt die Kapazität der offiziellen Unterkünfte nur ca. 6.000 Menschen. Ein Grund für den Anstieg einhergehend mit dem Ausruf des Notstandes ist die Tatsache, dass Geflüchtete, die sich in verlassenen Gebäuden und inoffiziellen Zeltcamps in Wäldern, insbesondere Nahe der Grenzen, befunden haben, in offizielle Camps gebracht wurden und diese mit der Begründung der Eindämmung von Covid-19 nicht eigenständig verlassen durften. Generell gibt es in Serbien deutlich weniger Freiwilligenorganisationen als beispielsweise in Griechenland oder Nordfrankreich. Als in Serbien dann der Notstand wegen Covid-19 ausgerufen wurde, mussten diese wenigen Freiwilligen ihre Projekte auch noch pausieren. Während des Notstandes kam es vermehrt zu Berichten von Gewalt von Campmitarbeiter*innen gegenüber Geflüchteten und auch wenn diese Berichte aufgrund einer Abwesenheit unabhängiger Akteure in den Camps schwer zu überprüfen sind, lässt sich aufgrund der Regelmäßigkeit dieser Berichte jedoch davon ausgehen, dass die Gewalt gegenüber Campbewohner*innen während der Covid-19 Pandemie innerhalb offizieller Unterkünfte gestiegen ist.
Seit der Auflösung des Notstandes und der damit einhergehenden Lockerung der Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 sind die Zahlen der sich in offiziellen Unterkünften befindlichen Geflüchteten drastisch gesunken: von 9.105 Menschen Anfang Mai auf 5.802 Menschen Ende des Monats. Viele Menschen haben sich auf ihrer bisherigen Reise teilweise stark verschuldet, die Zustände in den offiziellen Camps sind prekär und in den ersten Wochen guten Wetters durften die meisten Geflüchteten die Camps nicht eigenständig verlassen. Dementsprechend ist es wahrscheinlich, dass sich viele von Ihnen nun an eine der serbischen Grenzen begeben werden um zu versuchen noch während der Sommermonate in eines der Länder Westeuropas zu gelangen.
Freiwilligenorganisationen starten nun ihre Projekte an den Grenzen wieder – wenn auch aktuell noch mit reduzierten Teams aufgrund der Reisebeschränkungen und der recht plötzlichen Öffnung Serbiens und somit auch der Camps. Sie versuchen an den Grenzen Menschen zu unterstützen, die außerhalb offizieller Unterkünfte leben, indem sie Wäscheservices, mobile Duschmöglichkeiten oder Klamotten- und Essensverteilungen anbieten. Die Tatsache, dass die hunderten Geflüchteten außerhalb offizieller Unterkünfte keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben, ist dabei sehr besorgniserregend. Besonders vor dem Hintergrund, dass viele von Ihnen Verletzungen von gescheiterten Versuchen der Grenzüberquerung davontragen. Abgesehen davon macht die breite Verteilung der verlassenen Gebäude, in denen Geflüchtete häufig unterkommen, und die Einschüchterung durch die Polizei es für Freiwilligenorganisationen schwierig, alle Menschen, die dringend Unterstützung benötigen, zu erreichen. Damit diese allerdings trotz der sehr wahrscheinlich weiter ansteigenden Zahl an Geflüchteten weiterhin möglichst viele Menschen unterstützen können, werden in den nächsten Monaten an vielen Orten des Balkans Freiwillige und Geldspenden benötigt. Collective Aid hat Standorte in Serbien, Bosnien-Herzegowina und Frankreich. In dem Projekt an der serbisch-ungarischen Grenze unterstützt Collective Aid aktuell 100-150 Geflüchtete. Der Fokus liegt dabei auf Essential Aid, d.h. einer Grundversorgung mit Decken, Schlafsäcken und Zelten sowie Hygienelösungen wie Duschen und dem Wäscheservice.
Mehr Infos zur wertvollen Arbeit von Collective Aid in Serbien, sowie die Möglichkeit deren Arbeit zu unterstützen findet ihr auf https://www.collectiveaidngo.org.